• S.

    PROF. DR. FREUD.  WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    29. II. 12

    Lieber Freund

    Ich bin sehr überrascht zu hören, daß es mit 
    Pfister irgendwie schlecht steht. Sein letzter 
    Brief kurz vor dem Ihrigen war überselig 
    daß er end­lich das Weib gefunden, für das 
    es sich lohne, die Beschwerde der Situa­tion 
    zu ertragen, u ließ gar nichts Böses ahnen. 
    Seither habe ich nichts gehört. Wenn er in 
    eine Klemme kom̄t, muß man doch alles 
    thun, ihm herauszuhelfen.

    Von den Traumexperimenten wird das Zentr. 
    eine vorläufige Mittheilung bringen, 
    doch in keiner der nächsten Num̄ern. 
    Ihren erfreulicheren Nachrichten über Ihren 
    Studentenvortrag und die Laien­gründg 
    habe ich nichts Ähnliches von hier entgegen-
    zusetzen.

    Daß ich Ihnen wegen Ihrer Tendenz, unsere 
    Korrespondenz zu ver­nachlässigen, gram 
    sein soll, verdient eine ausführlichere 
    ψα Beleuch­tung. Es ist sicher, daß ich ein 
    sehr anspruchsvoller Korrespondent war 
    u ebensowenig kann ich ableugnen 
    daß ich Ihre Briefe mit beson­derer Un-
    geduld erwartet u besonders schnell be-
    antwortet habe. Ihre früheren Signale 
    von mangelnder Bereitwilligkeit habe 

  • S.

    ich unbeachtet gelassen. Diesmal erschien es 
    mir endlich ernsthafter; Ihre Weigerung, 
    mich von Ihrem Befinden nach dem Hunde-
    biß zu unterrichten, und die Hirschfeldepisode 
    machten mich stutzig. So habe ich mich denn 
    in die Hand genom̄en u jenen Libidoüber-
    schwang rasch abgethan. Ich war nicht erfreut, 
    aber doch befriedigt, wie bald es gelang. 
    Seitdem bin ich an­ spruchslos u wenig zu 
    fürchten. Unzurechnungsfähig ist be-
    kanntlich keine Auskunft aus der 
    Tiefenpsychologie. 

    Es träfe uns alle aber empfindlich, wenn 
    Sie die für Ihre Arbeit benö­tigte 
    Libido auch von dem Verein beziehen sollten. 
    Mein Eindruck ist, daß die Organisation 
    jetzt nicht ordentlich funktionirt. Die Gruppen 
    wissen nichts voneinander, kom̄en einander 
    nicht näher. Es liegt dar­an, daß das für die 
    Verständigung geschaffene Organ, das Korr. 
    blatt nichts leistet. Es ist seit dem Kongreß 
    erst einmal erschienen u kann jetzt, da 
    das Zentralbl einen Monat früher ge-
    druckt wird, höchstens im April wieder 
    auftreten. Es sollte doch jeden Monat 
    Berichte über die Thätigkeit der Ortsgruppen 
    bringen und die Stim̄e des Praesidenten 
    vernehmen lassen, auch über die äußeren 
    Schicksale der ΨΑ orientiren.

  • S.

    Von Riklin wird mir 
    hier erzält, daß er keinen Brief beantwortet 
    u keine Sendung bestätigt. Das Gemeinsame 
    der Vereinigung schränkt sich so auf den 
    Bezug des Zentralblattes ein, und wir 
    haben doch Opfer gebracht und Personen 
    abgestoßen, um diese für notwendig 
    erkannte Organisation durchzuführen. 

    Ich kann mich von den aktuel­len Interessen 
    der ΨΑ nicht in dem Maße zurückziehen, 
    wie ich es bei der Gründung plante, 
    als ich Adler hier zum Vorsitzenden vor-
    schlug. Aber es ist auch weniger von der 
    Gegenwart als von der Zukunft die 
    Rede, für die ich alles vorbereiten 
    und in der ich alles in Ihren Händen 
    geborgen wissen will.

    Ich darf Sie auch daran mahnen, daß Sie 
    auf dem Kongreß zugesagt haben, die 
    Bestim̄ungen für den nächsten zeitlich 
    im Jahr zu treffen. Mir liegt persönlich nichts 
    daran, wenn er heuer ausfällt; ich werde 
    dann den Sept frei haben. Kom̄t er zu 
    Stande, so werde ich na­türlich nicht 
    fehlen.

  • S.

    Ich bin bisher mit Kleinigkeiten ziemlich 
    fleißig gewesen, wofür ich die 4 Abhand-
    lungen aus dem Zentralbl, wovon Ihnen 
    2 noch ausstehen, als Probe anführen 
    kann. Als wesentlicher erscheint mir 
    die bald beendigte Tabuarbeit für 
    die Imago. Diese selbst wird in kaum 
    mehr als 14 Tagen aus der intrauterinen 
    Vorbereitung auftauchen.

    Ich grüße Sie herzlich u bin, 
    indem ich Sie des größten Interesses 
    für die Libidoarbeit versichere, 
    Ihr getreuer 
    Freud