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S.
Prof. Dr. Freud
IX., Berggasse 19.Aussee N 32
25 Aug 05
Sehr geehrter Herr
Wenn sonst ein jüngerer Schrift-
steller einem älteren ein
Manuskript zur Durchsicht geschickt
u dieser eine Zeit lang nicht geant-
wortet hat, entwickelt sich zwischen
den beiden gewöhnlich ein bürger-
liches Trauerspiel, das in Verstim-
mung ausgeht. Ein solches ist zwischen
mir u Herrn O. Rank nicht wahr-
scheinlich. Die Natur meiner Vor-
aussetzungen bringt es mit sich,
daß mein Interesse an seiner
Arbeit keinem Zweifel unter-
liegt, u sonstige Eigenschaften seines
Werkes können dieß Interesse
nur steigern. Wenn ich trotzdem -
S.
nicht geschrieben, sondern Ihre vorher-
zusehende Anfrage abgewartet,
so begründet sich mein Verhalten
erstens durch die Ferialverfassung
meinerseits u durch die nicht
einfache Natur des zu beurtheilenden
Objektes andererseits. Ich mache
Ihnen darum folgenden Vorschlag.
Ich sende Ihnen die Schrift morgen
zurück, die ich ohnedieß während
meiner Reise im September
in Ihrer eigenen Obhut wißen
möchte u bitte Sie, mir dieselbe
Ende Sept (– Ich kehre in der letzten
Sept.‑Woche nach Wien zurück) von
Neuem zu überlaßen. In besserer
Aufnahmsfähigkeit u mit einem
Convexglas ausgerüstet, das
ich nun doch nicht mehr entbehren -
S.
kann, werde ich sie dann studiren
u hernach Sie bitten, mir einige
Abende zur Diskussion derselben
zu schenken. Ich habe eine genügend
hohe Meinung von Ihren Fähigkeiten
gewonnen, nun Ihre persönliche
Bekanntschaft zu wünschen, u es
wird viel leichter sein, mein
Gemenge von Anerkennung und
Bedenken mündlich zur Geltung
zu bringen.Sind Sie damit einverstanden,
so sagen Sie mir’s auf einer
Karte, die den Empfang der
Schrift bestätigt.Ihr
hochachtungsvoll
ergebener
Dr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
C39F4