• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN IX., BERGGASSE 19

    Bad Gastein

    8.7.22

    Lieber Herr Doktor

    Es tut mir leid, daß ich, kaum daß Sie in 
    den Ferien angekommen sind, an dem ohnehin 
    nicht sehr langen Strick ziehen soll, der Sie 
    an den Beruf bindet. Ich habe Ihnen für 
    alle Zusendungen, für den offiziellen und 
    Privatbrief zu danken. Gleichzeitig ist 
    mir, als müßte ich für die kleinen Un-
    liebenswürdigkeiten Abraham’s und Jones’ 
    um Entschuldigung bitten, denn es sind wirklich 
    Reaktionen die mir gelten und auf Sie 
    verschoben werden. An sich erscheinen Sie mir 
    sehr ungerecht, ich habe ja alles im Gedächtnis, 
    was Sie geschrieben haben und ich kann Ihnen 
    nach etwa 15jähriger Gemeinschaft das Zeug-
    nis geben daß Sie nicht zu jenen gehören, 
    die ihre Launen an ihren Freunden austoben 
    müßen. Ich will hoffen, Sie lachen darüber 
    u sehen im vollen Verständnis der Motiven-
    lage den Freunden ihre Unarten nach.

    Ich thue gerade das, was Sie für ausgeschloßen 
    halten, schreibe eine Abhandlung nach der 
    anderen, da mehrere gleichzeitig zu schreiben 
    nicht ausführbar ist. Die ersten zwei Bemerk-
    ungen z. Trdeutung und neurotische Mechan-
    ismen sind schon zusam̄engestellt, die 
    erstere sogar schon halb geschrieben. Nur 
    eine Angst dabei, daß die Ferialzeit nicht 
    für alle Vorsätze ausreichen wird. Die Zeit 
    geht so schnell vorüber, eine Woche ist bereits 
    dahin, es ist schade um jeden Tag, die Tage 
    sind so köstlich‑ruhig, frei und heiter. 
    Dazu die herrliche Luft, das Wasser, die holländ. 
    Zigarren und das gute Eßen, alles einem 
    Idyll so ähnlich, als man es nur in der mittel-
    europaeischen Hölle haben kann. 

  • S.

    Wenn dieser Brief beendet ist, gehe ich auf den 
    Platz um ein grosses Couvert zu erwerben in 
    das ich einige für Sie bestimmte Sendungen 
    einschließen kann, darunter die kurze 
    Nachschrift zum Kleinen Hans, die Sie brauchen. 
    Ich unterbreche dann meine produktive Arbeit, 
    um den Zusatz zum Aufsatz der Lowtzky 
    zu schreiben u Ihr Mnsk zu lesen. Letzteres 
    wird, hoffe ich, eine alte Last von mir nehmen.

    Ich bin nie recht sicher, ob ich seinerzeit 
    Recht gethan habe, Sie vom Studium der 
    Medizin zurückzuhalten. Ich glaube im Ganzen 
    ich hatte Recht, wenn ich an meine eigene Lang-
    weile während der medizin Studien denke, 
    werde ich doch noch sicherer, aber wenn ich 
    sehe, daß Sie sich ganz in den Sattel des 
    Analytikers zurecht gerückt haben, fällt meine 
    Verantwortlichkeit von mir ab.

    Glauben Sie übrigens nicht, daß ich etwas Be-
    sonderes in diesen Ferien zu Stande 
    bringen werde. Der Fischer wirft sein 
    Netz aus manchmal fängt er einen 
    fetten Karpfen, oft nur ein paar Weiß-
    fischchen.

    Grüßen Sie mir herzlich die ganze Kolonie 
    besonders aber Weib und Tochter 
    u genießen Sie selbst die, wenn auch be-
    dingte Ferien u Arbeitsfreiheit. 
    Herzlich Ihr
    Freud