S.

15. 2. 24

Liebe Freunde.

Ich habe nicht ohne Verwunderung von verschiedenen Seiten gehört, daß die letzten Publikationen unseres Ferenczi und Rank, ich meine ihre ge- meinsame Arbeit und die über das Trauma der Geburt, in Berlin unlieb- same Erregung hervorgerufen haben. Dazu kam, daß ich von einem aus unserer Mitte2 direkt aufgefordert wurde, mich über die schwebende Angelegenheit, in welcher er einen Keim der Entzweiung erblickt, unter Euch zu äußern. Ich komme also seinem Wunsche nach, legt es mir nicht als Aufdringlichkeit aus, meine Absicht ginge ja eher dahin, möglichst Zurückhaltung zu üben und jedem von Euch freien Weg zu lassen.

Der Sachverhalt ist der: Unser gutes Einvernehmen, Eure so oft bewiese- ne Achtung für mich sollen keinen von Euch in der freien Betätigung seiner Produktivität stören. Ich verlange nicht, daß Ihr Euch bei Euren Arbeiten mehr danach richtet, ob sie mir gefallen werden als ob sie so geraten, wie es der Beobachtung und Eurer Auffassung entspricht. Völli- ge Übereinstimmung in allen Detailfragen der Wissenschaft und über alle neueröffneten Themen ist unter einem Halbdutzend Menschen verschie- dener Natur überhaupt nicht möglich und nicht einmal wünschenswert. Die Bedingung für unser fruchtbringendes Zusammenarbeiten ist nur die, daß keiner den gemeinsamen Boden der psychoanalytischen Vorausset- zungen verläßt und dessen dürfen wir doch bei jedem einzelnen des Ko- mitees sicher sein. Dazu kommt noch ein Umstand, der Euch nicht unbe- kannt ist und der mich besonders ungeeignet macht für die Funktion eines despotischen, immer wachen Zensors. Ich habe es nicht leicht, mich in fremde Gedankengänge einzufühlen, muß in der Regel warten bis ich den Anschluß an sie auf meinen eigenen verschlungenen Wegen gefunden habe.3 Wenn Ihr also jedesmal bei einer neuen Idee warten sollt, bis ich sie billigen kann, so läuft sie Gefahr unterdes recht alt zu werden.

Meine Stellung zu den beiden in Rede stehenden Büchern ist nun folgen- de. Die gemeinsame Arbeit schätze ich als eine Korrektur meiner Auffas- sung von der Rolle des Wiederholens oder Agierens in der Analyse. Ich hatte mich noch davor gefürchtet und diese Vorfälle, Erlebnisse heißt Ihr sie jetzt, als unerwünschte Mißerfolge betrachtet. R[ank] und F[erenczi] machen auf die Unausweichlichkeit und die nützliche Verwertung dieses Erlebens aufmerksam. Sonst kann die Schrift als ein erfrischender und zersetzender Eingriff in unsere gegenwärtigen analytischen Gewohnhei- ten anerkannt werden. Sie hat nach meinem Urteil den Fehler, daß sie nicht vollständig ist, d. h. sie führt die Änderungen der Technik, die den beiden Autoren am Herzen liegen, nicht aus, sondern deutet sie nur an. Mit dieser Abweichung von unserer »klassischen Technik«, wie Ferenczi sie in Wien nannte, sind gewiß mancherlei Gefahren verbunden, aber damit ist ja nicht gesagt, daß man sie nicht vermeiden kann. Insofern es sich hier um Fragen der Technik handelt, finde ich den Versuch der bei- den Autoren, ob man es nicht zu praktischen Zwecken anders machen kann, durchaus berechtigt. Es wird sich ja zeigen, was etwa dabei heraus- kommt. Jedenfalls müßten wir uns hüten, ein solches Unternehmen von vornherein als ketzerisch zu verurteilen. Gewisse Bedenken braucht man indes nicht zurückzudrängen. Ferenczis aktive Therapie ist eine gefährli- che Versuchung für ehrgeizige Anfänger und es gibt kaum einen Weg, sie von solchen Versuchen fernzuhalten. Ich will auch aus einem anderen Eindruck oder Vorurteil kein Geheimnis machen. In meiner Krankheit habe ich erfahren, daß ein rasierter Bart 6 Wochen braucht, ehe er sich wieder hergestellt hat. Seit meiner letzten Operation sind jetzt drei Mona- te verflossen und ich leide noch immer unter den Veränderungen der Narben. So fällt es mir schwer zu glauben, daß man in einer wenig länge- ren Zeit, 4 – 5 Monaten, bis in die tiefen Schichten des Unbewußten vordringen und dauernde Veränderungen im Psychischen zustande brin- gen kann. Aber ich werde mich natürlich vor der Erfahrung beugen. Ich persönlich werde wohl die »klassischen« Analysen weitermachen, denn erstens nehme ich ja kaum Patienten sondern nur Schüler, bei denen es darauf ankommt, daß sie möglichst viel von den inneren Vorgängen mit- erleben – Lehranalysen können ja nicht ganz so behandelt werden wie Heilanalysen – und zweitens bin ich der Ansicht, daß wir immer noch sehr viel Neues zu suchen haben und uns noch nicht darauf einlassen können, wie es bei der verkürzten Analyse notwendig ist, nur auf unseren Voraussetzungen zu fußen.

Nun zum zweiten und ungleich interessanteren Buch, dem Geburtstrauma von Rank. Ich stehe nicht an auszusagen, daß ich dieses Werk für sehr bedeutungsvoll halte, daß es mir sehr viel zu denken gegeben hat und daß ich mit meinem Urteil darüber noch nicht fertig bin. Was ich klar erken- ne, ist folgendes. Wir haben ja die Mutterleibsphantasie längst gekannt und gewürdigt, aber bei der Stellung, die Rank ihr gibt, bekommt sie eine weit höhere Bedeutung und zeigt uns mit einem Mal den biologischen Hintergrund des Ödipuskomplexes. Um es in meiner Sprache zu rekapitu- lieren: An das Trauma der Geburt muß ein Trieb anknüpfen, der die frü- here Existenz wieder herstellen will. Man könnte ihn den Glückstrieb heißen und verstünde dabei, daß der Begriff Glück, zumeist in erotischer Bedeutung gebraucht wird.

Rank geht nun über die Neurotik hinaus in allgemein menschliches Ge- biet und zeigt, wie die Menschen im Dienst dieses Triebes die Außenwelt verändern, während der Neurotiker in seiner Phantasie auf kürzestem Wege durch Rückkehr in den Mutterleib sich diese Arbeit erspart. Nimmt man zu Ranks Anschauung die Idee von Ferenczi hinzu, daß der Mann sich durch sein Genitale vertreten läßt, so bekommt man zum erstenmal eine Ableitung des normalen Geschlechtstriebs, die sich in unser Weltver- ständnis einfügt.

Nun kommt der Punkt, an dem für mich die Schwierigkeiten beginnen. Der phantastischen Rückkehr in den Mutterleib setzen sich Hindernisse entgegen, welche Angst hervorrufen, die Inzestschranke, woher stammt nun die? Ihr Vertreter ist offenbar der Vater, die Realität, die Autorität, welche den Inzest nicht gestatten. Warum haben diese die Inzestschranke aufgerichtet? Meine Erklärung war eine historisch-soziale, phylogeneti- sche. Ich leitete die Inzestschranke ab von der Urgeschichte der menschli- chen Familie und sah also in dem aktuellen Vater das wirkliche Hinder- nis, welches die Inzestschranke auch im neuen Individuum aufrichtet. Hier weicht Rank von mir ab. Er weigert sich auf die Phylogenese einzu- gehen und läßt die Angst, welche dem Inzest widerstrebt, direkt die Ge- burtsangst wiederholen, so daß die neurotische Regression in sich selbst durch die Natur des Geburtsvorganges gehemmt wäre. Diese Geburts- angst würde zwar auf den Vater übertragen, aber er wäre nur ein Vorwand für sie. Im Grunde sollte die Einstellung zum mütterlichen Leib oder Genitales von vornherein eine ambivalente sein. Dies der Widerspruch. Ich finde es sehr schwer, mich hier zu entscheiden, sehe auch nicht, wie es leicht aus der Erfahrung gelingen kann, denn in der Analyse wird man immer auf den Vater als den Träger des Verbotes stoßen. Aber das ist natürlich kein Argument. Ich muß derzeit die Frage offen lassen. Als Gegenargument kann ich noch anführen, daß es nicht in der Natur eines Triebes liegt, assoziativ gehemmt zu werden, wie hier der Trieb zur Rückkehr in die Mutter durch die Assoziation mit dem Geburtsschreck. Eigentlich setzt ja jeder Trieb als Drang nach Wiederherstellung eines alten Zustandes ein Trauma als Ursache der Änderung voraus und so könnte es keine anderen als ambivalente, d. h. von Angst begleitete Trie- be geben. Natürlich wäre darüber noch sehr viel einzelnes zu sagen und ich hoffe, daß der von Rank heraufbeschworene Gedanke noch Gegen- stand zahlreicher und fruchtbarer Diskussionen werden wird. Ein Um- sturz, eine Revolution, ein Widerspruch gegen unsre gesicherten Erkennt- nisse liegt aber nicht vor, sondern eine interessante Ergänzung, deren Wert bei uns und den Außenstehenden allgemein anerkannt werden sollte. Wenn ich noch hinzufüge, daß mir nicht klar ist, wie die vorzeitige Be- wußtmachung der ärztlichen Übertragung als Mutterbindung zur Abkür- zung der Analyse beitragen kann, so habe ich Euch ein getreues Bild meiner Stellung zu den beiden in Rede stehenden Arbeiten gegeben. Ich schätze sie also sehr, anerkenne sie schon jetzt teilweise, habe meine Zweifel und Bedenken gegen manche Stücke ihres Inhalts, erwarte Klä- rung von fortgesetzter Überlegung und Erfahrung und möchte allen Ana- lytikern empfehlen, sich nicht zu rasch ein Urteil über die angeregten Fragen zu bilden, am wenigsten aber ein absprechendes.

Verzeiht meine Weitschweifigkeit, vielleicht hält sie Euch davon ab, mich aufzustören, um mich über Dinge zu äußern, die Ihr ebenso gut selber beurteilen könnt.

Freud