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    15. Dez. 1922

    Lieber Freunde

    Laßt mich noch einmal den Typographen satteln,
    ehe ich mich in mein Austragstüberl zurück-
    ziehe. Ich danke Euch, d. h. Abraham und
    Jones für die Nachsicht in der Beantwortung
    meines vorigen Briefes. Einer von
    Euch hat mich einer ungerechten Parteinahme
    für Rank beschuldigt, ob-
    wohl ihr vielleicht beide oder mehrere daran
    gedacht haben mögt. (Nur mein alter
    Freund Ferenczi weiß genau, daß mein
    fanatischer Rechtssinn mir im Leben mehr
    geschadet hatte als alle anderen guten u
    schlechten Eigenschaften zusammen.) Ihr
    hättet es doch leicht gehabt, denn die ΨΑ eignet sich
    bekanntlich nicht zum Werkzeug einer Polemik,
    es ist immer eine Übertretung, sie so, wie ich es getan habe,
    zu gebrauchen.

    Natürlich täusche ich mich nicht
    über meinen Erfolg; es hat den An-
    schein, als ob ich weder bei Ab. noch
    bei J. etwas erreicht hätte. Viel-
    leicht ist aber ein ausdrückliches
    Zurücknehmen nicht notwendig u der
    Erfolg zeigt sich später in geänderten
    Reaktionen. Ich werde auch die Polemik
    nicht fortsetzen, nachdem ich noch
    auf zwei Eurer Bemerkungen geantwortet
    habe: auf Ab’s Frage, warum ich mich
    in der Sache der „other directors“ plötzlich
    auf den formalen Standpunkt stelle, und
    auf J’s Einwurf in betreff seiner u Rank’s Analyse.
    Also auf’s erstere, daß ich auf die
    formale Frage eingehe, weil der
    Tadel ein formales Element betrifft,
    wobei der andere Gesichtspunkt, daß
    das Ganze nicht der Mühe wert, nicht
    aufgegeben zu werden braucht; und
    auf’s andere, daß ich in 15jähriger, stetiger
    und intimer Arbeitsgemeinschaft mit Rank, kaum je-
    mals auf die Idee gekommen bin, der könnte
    noch ein Stück Analyse brauchen,
    und damit darf ich abbrechen.

    Einmal im Schreiben, gebe ich der Versuchung
    nach, mich nach J’s zweitem Brief weiter 
    über das Press-Verlag-Problem zu
     

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    äußern. Denn Rank ist zwar nicht launenhaft – moody –
    oder läßt seine Freunde nicht unter sei-
    nen moods leiden, aber er dürfte doch noch nicht zu
    eingehenderen Erörterungen aufgelegt sein
    und nach seinen letzten Erfahrungen wäre es
    nicht zu verwundern, wenn er Lust hätte, ähnlich
    zu antworten wie der letzte Sachsenkönig
    als man ihm mitteilte, daß er abgesetzt sei
    („Gut, so macht’s Euch Euren Dreck alleene“).

    Ich knüpfe also an J’s Darstellung an, die tadellos
    richtig ist. Die Press sollte nichts anderes sein
    als die englische Abteilung des Verlags, Jones,
    englischer Redakteur und Fassade gegen das englische
    Gesetz (Nebenbei aber, das Alter macht geschwätzig:
    nach diesem letzten Brief von J., sei-
    ner Bemerkung, niemand könne die Zweckmäßigkeit
    von Rank’s Ent- schließung beanstanden, seiner
    Abweisung der Hiller’schen Unabhängig-
    keitsgelüste, verstehe ich den ganzen Spektakel
    erst recht nicht, d. h. nicht rationell).

    Nun fahre ich fort. Wir haben mehrere Dinge
    gemacht, die sich als Fehler herausgestellt haben.
    Zunächst, daß bei den Engländern Geld gesammelt
    wurde. Dadurch ist die Press zu eigenem Geld gekommen
    und bei den Engländern hat sich ein Eigentumsgefühl
    in bezug auf das Journal oder die Press entwickelt
    (eingestandener Weise). Entschuldigung, wir haben
    Geld gebraucht u keines gehabt, was aber die Folgen
    nicht aufhebt. So- dann, daß Hiller nach Wien geschickt
    wurde: H., ich sage es nochmals, ist ein anständiger,
    gewissenhafter Mensch, der viel und Gutes gearbeitet
    hat, nicht nur als Hersteller – meine beiden letzten
    Übersetzungen sind charming –, sondern auch
    als Redaktionshelfer. Aber er hatte einen gro-
    ßen Fehler u mehrere ernste Unzulänglichkeiten.
    Den Fehler, daß er sich nicht als Beamten des
    Verlages betrachten wollte, sondern als Gesandten
    einer unabhängigen Macht, hat Jones jetzt
    ausdrücklich zugestanden. Sei-
     

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    Mängel waren, daß er sich allzu einseitig
    auf Befriedigung seiner künstlerischen 
    Interessen auf die Herstellung warf, dabei Zeit 
    und Geld nicht berücksichtigte und für alles Ge-
    schäftsmäßige wie für den Verkauf überhaupt
    kein Organ hatte. Er war also nicht der richtige
    Mann, das eng- lische Geschäft des Verlages zu
    leiten. Entschuldigg⁶: Jones hatte keinen anderen,
    besseren aber diese Entschuldigg wird vom
    Schicksal nicht an- genommen.

    Ich merkte, wie die Press geleitet wurde, daß sie uns 
    nicht nur nichts eintrug, sondern kostete und 
    daß unterdes unter den Engländern der 
    Eindruck aufkam, die Press, ihre Press, würde 
    vom Verlag ausgebeutet u müsse ihm ab-
    liefern, was ihr Erwerb sei. Darum wandte 
    ich mich in Berlin an Jones mit der Aufford-
    erung, den alten Zustand, daß die Press eine 
    Provinz des Verlages sein solle, wieder her-
    zustellen, oder, wenn es England nicht genehm 
    sei, ihn durch den neuen, einer weitgehen-
    den Separation zu ersetzen. An dieser Stelle 
    verwirrte sich die Situation durch Hiller’s Er-
    klärung, er gedenke überhaupt nicht bei der 
    Press zu bleiben. Den wahrscheinlichen Einfluß 
    meiner Weigerung, seinen Gehalt zu erhöhen 
    (der für einen Engländer gewiß unzureich-
    end war; aber Entschuldigg nach bekanntem 
    Muster: wir haben übhpt kein Geld solange
    die Press nicht mehr verdient), will ich nicht 
    erörtern. Klar ist aber, daß nicht so sehr 
    die Übersiedlung des Verlages, sondern H’s Re-
    signation die gegenwärtige Krise der Press 
    verschuldet. Sie sähe nicht viel anders aus, 
    wenn der Verlag ganz in Wien bliebe.

    Die Elemente der Situation sind folgende:
    a) die Engländer glauben nicht, daß man respektable
    englische Bücher anders als durch einen Engländer
    herstellen lassen kann. (Sie mögen darin 
    Recht haben. Rank denkt zwar anders, aber 
    jedenfalls sind die Engländer nicht davon zu 
    überzeugen.)
     

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    b) die Hiller’sche Wirtschaft konnte nicht weiter gehen.
    c) Hiller ist auch nicht zum Bleiben u zur Einord-
    nung zu bewegen.
    d) Wir haben keinen anderen Engländer zur 
    Verfügung.
    e) Wenn wir ihn hätten, besäßen wir nicht die 
    Geldmittel, ihn zu entlohnen.

    Wie diese Situation lösbar ist u wie sich aus diesen
    Elementen eine Fortführung der Press durch 
    den Verlag ergeben soll, weiß ich nicht zu 
    sagen. Darüber soll Jones mit seinen Leuten in 
    London konferiren. Ich kann nur folgendes 
    mitteilen: Wenn ein unwahrscheinlicher Zufall 
    mir zum dritten Mal einen Geldbetrag für 
    die Erhaltung der ΨΑ Literatur in den Schoß 
    werfen würde, könnte ich nicht den Entschluß
    fassen, ihn für eine unabhängige Press in 
    London auf’s Spiel zu setzen, denn ich sehe 
    dort nicht eine Persönlichkeit, der ein ge-
    schäftliches Unternehmen anzuvertrauen 
    wäre. (J. erklärt mit Recht, daß er nur Re-
    dakteur sein kann, die Rivière, sehr tüchtig, ist 
    nur Übersetzerin, Rickman ist nicht erprobt, 
    vielleicht nur an den legalen Formalitäten 
    interessiert). Wir sind in Wien verwöhnt worden. 
    Rank hat sich nicht nur als Redakteur bewährt, 
    sondern auch einen tüchtigen Geschäftsmann 
    in sich entwickelt, allerdings Jahre dafür ge-
    opfert. Er hat dann das Glück gehabt, in der
    schwersten Zeit ein Lokal zu finden u in 
    Dr. Storfer, der uns ja verbleibt, einen vor-
    trefflichen, geschäftlich kundigen Hersteller 
    zu gewinnen. Ja, aber dauernd Glück hat doch 
    nur der Tüchtige.

    Andererseits verkenne ich so wenig wie Jones, 
    daß der Verzicht auf die Press für den 
    Verlag eine schmerzhafte Verstümmelung 
    und einen Verlust der 
    größten Chancen für die Zukunft bedeutet.
    Aber ohne Geld und ohne Leute kann man
    nichts machen.

    Freud