S.
Maria-Wörth, 7. August 1911.
Hochverehrter Herr Professor!
Die Zeit verstreicht hier unheimlich schnell und vor lauter Nichtstun komme ich zu nichts Rechtem; doch verlohnt es sich einmal auch so in den Tag hinzuleben. -
Die Neuigkeiten fliessen ziemlich spärlich. Dr. Sachs ist von seiner erfolgreichen Mission glücklich nach Wien zurückgekehrt und hat bis auf weiteres mir die ganze Angelegenheit überlassen, die ich nun auf dem Kongress - zumindest durch private Werbung von Mitarbeitern und Abnehmern - zu vertreten haben werde. Ich hoffe übrigens einen Tag vor dem Kongress bereits in Weimer sein zu können, um nähere Instruktionen von Ihnen hierüber einzuholen und ich glaube wohl hoffen zu dürfen, dass Ihr persönliches Eintreten für die Sache meine Mission so ziemlich überflüssig machen wird.
Jones schrieb, dass er nach dem Kongress nicht mehr nach Amerika zurückkehrt, sondern in London bleiben und den Versuch machen will, Ihre Psychologie in die harten Schädel der Engländer, wie er schreibt, hineinzubringen. Er arbeitet wieder am Nightmare, dessen I. Teil er nach Weimar mitzubringen hofft. Er beklagte sich darüber, dass das Zentralblatt nicht international genug geführt werde, um auch Artikel in anderen Weltsprachen aufnehmen zu können und meinte, dass die mannigfachen Übersetzungsschwierigkeiten ihn und viele seiner Landsleute von der häufigeren Einsendung Ihrer Arbeiten abhielten. Ich glaubte ihn, nach einer Bemerkung von Ihnen, auch diesbezüglich auf Eros und Psyche vertrösten zu können.
Hitschmann schrieb mir unter anderm, er habe Friedjung getroffen, der auf einem Dienstag-Abend bei A. war, aber von dem Gemauschel der Grüner [?] und Genossen so entsetzt gewesen sein soll, dass er sich schwur, nicht mehr hinzugehen. Auch schreibt er, dass Franz Servals [?] in der Frankf. Ztg. Abrahams Segantini verrissen habe und tags darauf "goß ein Frankfurter Arzt Jauche auf Stekel."
Maday aus Innsbruck wird dieser Tage in Wien sein und ich bat ihn Dr. Sachs aufzusuchen. Der junge Musiker, den ich Ihnen einmal vorstellte, schickte mir aus Paris einige interessante Arbeiten über die musikalische Produktion, die Psychologie der Musik und Bruckners Gemütsleben im besonderen; ich glaube, er könnte auch manch hübsche Arbeit für uns beitragen.
Die neue Waden[?]deutung hat Jones sehr imponiert und er hat mich dazu beglückwünscht, welches Lob ich natürlich pflichtschuldigst an Sie weitergebe. Hoffentlich ist auch die "Psychoanalyse" schon fertig. - Deuticke ist diesmal so langweilig, dass ich fürchte, auch von hier wieder abzureisen, ohne den Lohengrin fertig zu haben; allerdings wird er größer als ich dachte. Auch vom Jahrbuch ist noch gar keine Spur. Jung schrieb mir, dass Anfangs August noch ein Korrespondenzblatt erscheinen wird und nach 1. Sept. das ausführliche Kongressprogramm. Da ich aber um diese Zeit in den Dolomiten sein dürfte, werde ich Dr. Sachs mit der Versendung betrauen müssen. Leider kann ich wahrscheinlich nur das Ampozzotal besuchen, sonst hätte ich mir erlaubt von Bozen aus Ihnen und Ihrer Familie, der ich mich bestens empfehle, einen Besuch abzustatten.
Ich habe mich wieder an der "Motiv der Nacktheit" gemacht, was sehr fruchtbar zu werden verspricht; ich habe damit ein ein psychoanalyt. Wespennest gestochen und weiss jetzt nicht aus noch ein. Hoffentlich geht es bald weiter.
Ich hoffe, dass Sie sich in Karlsbad kuriert und am Ritten bereits gründlich erholt haben.
Mit ergebenen Grüßen
Ihr dankbarer Rank.