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Wien, am 1. Juni 1923
Liebe Freunde!Ich habe diesmal die versprochene Karte am 15. nicht abgeschickt,
weil Ferenczi und Sachs in Wien waren und ich an Jones ohnehin anläßlich
seiner Erkrankung privat geschrieben hatte. Wir hoffen, daß Du l. Ernest,
wieder ganz wohlauf bist, obwohl wir in den letzten Tagen keine
Nachricht von Dir hatten.Im Verlag geht die Arbeit an der Gesamtausgabe inzwischen im
Stillen vorwärts. Wir hoffen bald über das Ergebnis der ersten Anleihe be-
richten zu können und die Prospekte zu versenden. Die erste Nummer der
Imago ist diesmal ziemlich stark verspätet soeben erschienen, doch wird dies
bei der zweiten Nummer, die nahezu fertig ist, eingebracht werden. – Eine von
Ferenczi empfohlene Arbeit, von Jolanthe Neufeld („Budapest“) über Dostojewsky
wird als erstes der Imago-Bücher (zugleich mit Ossipows Tolstoi) im näch-
sten Monat erscheinen; die Arbeit bietet uns gar nichts Neues, ist aber für
das breitere Publikum bestimmt. – Das mexikanische Manuskript von Frau Dr.
Bálint ist auch eingetroffen und wird in Imago veröffentlicht. – Ferner kam
Hattingbergs Kongreßvortrag, den er durch einen zweiten, rechtfertigenden
Teil ergänzt hat; der Prof. will die Arbeit bringen, doch nicht ohne in einer
Bemerkung den Standpunkt der Redaktion dazu festzustellen.Zur Bewegung: Die französische Ausgabe der 3 Abhandlungen ist er-
schienen, das letzte Supplement (Mai) von „L’Encéphale“ bringt das Porträt des
Professors. – Ein Dr. Martini aus Paris hat sich brieflich beim Prof. als
Anhänger gemeldet. Der Prof. hat ihm die Adresse von Frau Sokolnicka ge- -
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gegeben und läßt Dich, l. Max fragen, ob Du in den Brief Einsicht zu nehmen
wünschtest. Dann hat ein Arzt aus der Nähe von Saragossa wegen eines
spanischen Pat. beim Prof. angefragt, der ihn an Dich, l. Karl, gewiesen hat.
Stekel gibt im Verlag Deuticke ein neues Periodikum: Fortschritte der
Sexualwissenschaft und Psychoanalyse heraus und ruft gleichzeitig zur
Gründung einer „Internationalen ärztlichen Vereinigung unabhängiger Analytiker“ auf,
die auch energische Schritte gegen die von Laien ausgeführte Analyse
ankündigt. Für den provisorischen Ausschuß zeichnen den Aufruf u. a.:
Dr. Geijerstam, Dr. van Teslaar, Dr. Wittels (um bekannte Namen zu nennen).Was schließlich die Zusammenkunft im August betrifft, so möchte der
Professor keinen Zweifel daran lassen, daß er sich denkt, wir werden uns
zunächst ohne ihn treffen und gegenseitig aussprechen und dann die ganze
Komitee-Zusammenkunft durch ein gemeinsames Zusammentreffen mit ihm abschließ-
en.Mit herzlichen Grüßen
OttoP.S. Zur franz. Lit.: Dr. Emile Adam (Charenton): Le freudisme. Étude historique
et critique de méthodologie psychothéra-
peutique.