S.
Wien, am 28. Okt. 1920
Lieber Freundeskreis!
Eine Serie von zufälligen »Entdeckungen« – leider nicht wissenschaftli- cher Art – gibt mir die nicht gerade unerwünschte Gelegenheit, einen privaten Rundbrief ohne die Unterschrift des Professors – aber leider nicht ohne sein Wissen – an Euch zu richten.
Die Anfrage wegen des Ringes, die Jones seinem Schreiben beischloß, ist durch eine Unachtsamkeit meinerseits in die Hände des Prof. geraten, und zwar so, daß ich das dünne Blatt, das Jones unter die letzte Seite sei- nes Briefes legte und das dort festsaß, nicht bemerkte und erst vom Pro- fessor darauf aufmerksam gemacht wurde.2 Der Prof. wollte selbstver- ständlich abwehren und sagte scherzhaft, er werde schon auf diese Frage antworten. Ich erwiderte, daß ich mir dies aber auch nicht werde nehmen lassen – und so sagte er schließlich: Meinetwegen, aber dann gewiß erst zum 70. Geburtstag.
Die zweite »Entdeckung« war, daß der Professor in einem der zahlrei- chen Briefe, die ich ihm aus anderen Gründen schickte (da wir beide lei- der nicht so viel Zeit haben, um uns alles erzählen zu können), irgend etwas von der Festschrift3 fand und mich zur Rede stellte. Das lehnte er allem Anschein nach entschiedener ab, als das erste und wir haben ja schon selbst verschiedentlich gezweifelt, ob der Zeitpunkt der richtige sei. Die Festschrift berührt gewiß seinen »Alterskomplex« empfindlich. – Ich konnte ihn mit der Versicherung beruhigen, daß wahrscheinlich ohnehin nichts daraus wird, was ich auch wirklich glaube, da ich mir nach dem heutigen Stand und nach den Anfragen, die ich bekomme, wirklich nicht denken, daß das rechtzeitig fertig würde; und übereilen dürfte man ja eine solche auch drucktechnisch würdige Gabe ja nicht. – Ich möchte aber daran die Mahnung knüpfen, das voraussichtliche Nichtzustandekommen vorläufig geheim zu halten, damit die eventuelle Arbeitslust nicht gelähmt werde und wir doch vielleicht schöne Arbeiten bekommen und dann die Selbstmahnung, sich durch dieses Wissen nicht von einer etwa geplanten Arbeit abhalten zu lassen! – Ich selbst will of- fen gestehen, daß ich an dem Zustandekommen der Festschrift auch deswegen nicht denken wollte, weil es mir sicherlich ganz unmöglich gewesen wäre, auch nur den kleinsten Beitrag zu liefern, noch dazu jetzt, wo ich mit Bilanz etz. mehr als überlastet bin.
Endlich eine dritte, für mich die unerfreulichste Entdeckung; nämlich daß durch ein Versehen, für das niemand von uns beiden Schuld trägt, der letzte Brief aus Berlin (No 3) zur Kenntnis des Dr. Reik gelangt ist.4 Es stand zwar nichts bes. darin, aber die Tatsache der Rundbriefe kann ihm kaum verborgen geblieben sein (daher gehen jetzt die Briefe an mich).
Nachdem ich diese Geständnisse (ich wollte die Einzahl) meiner teilwei- sen Schuld abgelegt habe, drängt es mich, die Gelegenheit zu benützen und einen Vorschlag zu machen, der in unserem gemeinsamen Rundbrief nicht am Platze wäre. Nämlich daß wir sechs in der Anrede untereinan- der das vertrauliche Du gebrauchen sollen, wozu es ja nicht mehr viel bedarf: Ich duze mich bereits mit Ferenczi, Jones und Sachs, dieser mit mir und Jones und wie ich aus den Briefen entnehme kann auch Ferenczi mit Abraham. Also schließen wir den Kreis!
Indem ich hoffe, daß Ihr alle, lieben Freunde, diese Idee zu meinen ande- ren guten Ideen zählen werdet, begrüße ich Euch alle herzlichst und mit freundschaftlichem, das Du besiegelnden Händedruck
als Euer
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