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    Wien, den 14. Jänner 1923  

    Liebe Freunde!  

    Wir können heute noch nichts Neues über den Verlag  
    berichten, da Storfer erst gestern von seiner Reise zurückgekehrt  
    ist. Soviel scheint aber doch festzustehen, daß die Konjunktur 
    für eine Verlegung der Haupttätigkeit des Verlages nach Deutsch-
    land weiter günstig ist, während hier die Verhältnisse gleich un-
    günstig geblieben sind (so z. B. ist der Preis für den Druck der 
    „Imago“ oder der jetzt erscheinenden „Imago-Bücherei“ nach der Kalku-
    lation an ein und demselben Tage hier in Wien doppelt so gross
    als draußen). So erscheint es also als ein Gebot geschäftlicher 
    Notwendigkeit, den Verlag möglichst bald und möglichst ausgiebig 
    draußen arbeiten zu lassen, obwohl die Verlegung selbst, sowie 
    auch die damit verbundene Notwendigkeit der zeitweisen Aufrecht-
    erhaltung eines Doppelbetriebes, viel Bargeld erfordert, an dem es 
    uns aber gerade mangelt.  

    Sonst war die letzte Zeit hier ziemlich still.  
    Zu dem Professor kam ein Manuskript von Hermann Runge „Schuld  
    und Sühne“, eine philosophische Spekulation, vor deren Lektüre der 
    Professor bisher zurückgescheut ist; der Autor hat sich auf Groddeck 
    berufen und die Absicht geäußert, sich an Berlin um die Aufnahme 
    zu wenden. Aus Kasan erhielt die „Imago“ dieser Tage einen Arti-  
    kel „Zur Psychoanalyse des Kostüms“ von Alexander Luria, das ich 
    noch nicht gelesen habe. Von Pfister ist in einer kleinen Samm-
    lung ein neues Bändchen: „Zur Psychologie des philosophischen 
    Denkens“ erschienen.  

    Vor zwei Tagen erfuhren wir aus den hiesigen  
    Blättern, daß Silberer Selbstmord begangen habe. Über die Motive 
    nichts Näheres bekannt.  

    Bei dieser Gelegenheit sei auch erwähnt, daß Tannen-  
    baum die Subskriptionseinladung zu seinem neuen „Journal of  
    Sexology and Psychoanalysis“, das er mit Dr. Robinson zusammen heraus-
    gibt, bereits versendet hat; unterzeichnet „American Sexanalytic 
    Press“.  

    ad Berlin: Auch die Beihefte werden für die Berliner Mitglieder, 
    wie die Bücher, von der Poliklinik bezogen, da ihr Abonnement nicht 
    obligatorisch ist; nur die Zeitschriften werden nach wie vor direkt 
    vom Verlag versandt.  

    ad London: Hillers Ankunft wird hier für die nächsten Tage er-
    wartet, und wir hoffen, daß er die entscheidenden Nachrichten, 
    auf die wir jetzt warten, mitbringen wird. Auf Deine Anfrage, 
    lieber Ernest, habe ich ja bereits in meinem letzten Brief die 
    Antwort gegeben, daß es nämlich für den Verlag unter den gegebe

  • S.

    gegebenen Verhältnissen aus verschiedenen Gründen unmöglich ist, 
    mit der Press weiter so zusammenzuarbeiten. Inzwischen sind 
    50 £ aus London avisiert und wir hoffen, daß es der Press bald 
    möglich sein wird, weitere Gelder zu senden, da die unbezahlten 
    Rechnungen hier stetig wachsen. Aus diesem Grunde möchte ich der 
    Press vorschlagen, jetzt alle weiteren Auslagen, soweit es geht, 
    einzuschränken oder überhaupt zu vermeiden, bevor ihr Schicksal 
    nicht irgendwie entschieden ist, und sie nicht über die Mittel 
    zum weiteren Geschäftsbetrieb verfügt. Für den Fall, als es doch 
    dazu kommen sollte, mit einem fairen Verleger wegen Übernahme 
    der Press zu verhandeln, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß 
    die Press diesem Verleger gegenüber den Standpunkt zu vertreten 
    hätte, die Übernahme der Press verstehe sich mit allen Aktiven 
    und Passiven, d. h. aus dem Geschäftsteil übersetzt, daß der Ver-
    leger auf der einen Seite alle positiven Werte der Press über-
    nimmt, dafür aber auch die Verpflichtungen derselben gegen ihre  
    Schuldner, wozu nicht nur die bisher unbezahlten Lieferanten 
    gehören, sondern hauptsächlich der Verlag. Das heißt mit anderen 
    Worten, daß der Verlag als Hauptgläubiger der Press bei einem
     Übergang derselben in fremde Hände die Forderung stellen muß, 
    der neue Verleger habe bei Übernahme der Press die schuldigen 
    Beträge also an den Verlag und die Lieferanten, zu erledigen. 
    Diese Forderung, die der Verlag zu seiner eigenen Erhaltung 
    stellen muß, wird andererseits auch die Press schützen, 
    daß ein Verleger die bisher geschaffenen Werte mühelos erwirbt, 
    und vielleicht damit auch glaubt, der Press eine Gnade erwiesen 
    zu haben. Zu einer Stundung dieser Forderung, bzw. einer teilwei-
    sen Auszahlung in Büchern könnte sich der Verlag, auch nur unter 
    einigen Opfern, nur dann entschließen, wenn die Press selbstän-
    dig und unabhängig bleibt und nicht über solche großen Mittel ver-
    fügen sollte. Bei einer Übernahme durch einen fremden Verleger 
    wäre aber die Bezahlung in Büchern schon aus dem Grunde unmöglich, 
    weil sich gewiß kein Verleger darauf einlassen würde, daß wir, 
    d. h. der Verlag, einen größeren Teil der von ihm übernommenen Aufl-
    agen zum Verkauf zur Verfügung haben sollten, und ihm damit Kon-
    kurrenz machen könnten. Ich brauche nicht zu betonen, daß der 
    Verlag in seiner jetzigen Krise, großen Wert darauf legen würd, 
    das Geld bald zu bekommen, da die Summe gerade ausreichen würde,  
    um unsere Sanierung in Deutschland durchzuführen. Andererseits wür-
    den wir aber – wie bereits erwähnt – sehr bedauern, wenn die 
    Press in fremde Hände übergehen müßte.  

    Mit herzlichen Grüßen  

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