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S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
Semmering6. 9. 27
Liebe Ruth
Ich schreibe Ihnen schnell noch,
ohne sicher zu sein, daß
der Brief Sie trifft. Alles,
was Sie mitteilten, war
sehr interessant, sowol
über Mark als über Ihre
eigenen Zustände. Es ist
wol merkwürdig, dh nicht
ganz verständlich, daß Sie
nach soviel Analyse noch
soviel unter der Weib-
lichkeit zu leiden haben.
Das arbeitet sich langsam
durch.Über Mark habe ich nichts
Neues zu sagen. Ich bleibe
bei meiner Meinung,
daß der Kampf zwischen
altem u neuen Regime
bei ihm nicht zu Ende
kom̄t, weil er nicht vom
Glauben losgekom̄en ist,
daß er Sie auch so zur
Frau bekommen kann.
In Analyse nehmen möchte
ich ihn nicht, ich erwarte
nicht, etwas Neues aus
der Vergangenheit zu
erfahren, aus der Gegen-
wart nur die Bestätigung -
S.
meiner Vermutung und wie
Sie richtig ausgerechnet haben,
wird es uns auch an Zeit
fehlen.Die schöne Ruhe hier ist natürlich
vorüber, Prinzeß u Liebman
sind schon eingerückt, im
Hotel wohnen Ferenczi u
Laforgue mit Frauen, Jones
war bereits da u hat sich
unangenehm gemacht. Wolf
mochte ihn nicht u hat ihn
sogar gebißen. Ich mußte
das arme Thier dafür strafen,
es that mir aber selbst weh,
da meine Sympathien – bei
ihm waren. Auch Strachey
war kurz da u andere
sind angekündigt. Eine gütige
Vorsehung bescheert mir
grade bessere Tage mit
der Prothese.Auf dem Kongreß ist Eitingon
Praesident, Anna und
Ophuijsen Sekretäre geworden.
Anna’s Vortrag und ihr
mehrmaliges Eingreifen
in die Debatte werden
sehr gelobt. Das Niveau der
Vorträge soll sehr hoch
gewesen am Ende auch
die Stimmung eine gute. -
S.
Bei der Erörterung der Laien-
frage gab es Skandal, die
Amerikaner, deren Forderung
Jones mit irgend welchen
Hintergedanken vertrat,
haben nichts durchgesetzt,
aber auch die Billigung
der Laienanalyse hat es
nicht über eine Empfehlung
gebracht. Oberndorf u Jelliffe,
die zuerst sehr abweisend
auftraten, sollen nach
Versicherungen von Eitingon
und Anna endlich freundlich
u zugänglich geworden sein.
Jones betont mit offenbarer
Befriedigung, daß die zu
Hause Gebliebenen unver-
söhnlich sind. Er hat mir
einen gereizten Brief
von Brill gezeigt, der sogar
vermutet, daß ich die Absicht
habe, die New Yorker aus
der Internat herauszu-
drängen. Das ist natürlich
Trotzreaktion, aber ich theile
die hier nicht vereinzelte
Auffassung, daß es kein
Verlust wäre. Wenn sie
wollen, sollen sie gehen.
Sie werden wenig dabei
gewinnen. -
S.
Einen kleinen Aufsatz von mir
über den Humor hat Anna auf
dem Kongreß verlesen, einen
anderen über Fetischismus Radó
für die Zeitschrift übernom̄en.
Nicht bekannt soll werden,
daß ich im Pult eine etwas
längere Arbeit liegen habe:
Die Zukunft einer Illusion.
Gemeint ist die religiöse,
es ist eine Art von negativem
Glaubensbekenntnis, soweit
bolschewistisch, als ich es über-
haupt zustande bringe. Also
Schweigen darüber! Jetzt
ist es mit dem Arbeiten
für längere, vielleicht
lange Zeit wieder zu Ende.Hoffentlich geht es Ihnen
diesmal umgekehrt wie
im Vorjahr, daß Ihre
Leiden mit der Über-
querung des Ozeans
verschwinden.Ich grüße Sie sehr
herzlich
Freud