• S.

    PROF. SIGM. FREUD   
    20 MAREFIELD GARDENS.
    LONDON. N.W.3.
    TEL: HAMPSTEAD 2002.

    28. 1. 1939

    Meine liebe Ruth

    Ich weiß, daß es Unrecht war, Ihnen 
    nicht öfter zu schreiben, tröstete 
    mich damit, daß Ihnen der Grund 
    nicht unbekannt ist.  Ich habe fort-
    gesetzt, lähmende Schmerzen von 
    dem elenden Knochenstück das sich 
    zur Ablösung nicht entschließen 
    kann, schlafe, eße u arbeite nur 
    mit Hilfe von drei Dosen Aspirin 
    im Tag u brauche oft noch eine regel-
    mäßige Abwechslung von Wärm-
    flaschen, um aushalten zu können. 
    Dabei entbehrt die Sache, wenn alle 
    Pech haben, jedes Ernstes u jeder 
    Würde, es ist ein halb lächerliches 
    Leiden wie ein englischer Rheum-
    atismus, den ich unlängst auch zu 
    kosten bekom̄en habe.

    Das Schreiben wird mir schwer, ich 
    finde selbst meine Schrift ver-
    ändert, ich kön̄te den Brief jetzt 
    beschließen. Sonderbar, wie man 
    von Schmerzen dominirt wird, 
    ich vielleicht besonders. Mit Mühe 
    entreiße ich mich der Schmerzatmo-
    sphäre um 4 Stunden zu geben, 
    zwei meinen mitgebrachten Pat. 
    zwei neu angeworbenen Eng-
    ländern, denen vor allem vor-
    zuwerfen ist, daß sie das Maul 
    nicht aufmachen und anstatt 
    menschlicher Worte nur dumpfe 
    Geräusche zustande bringen. Mein 
    Ohr ist nur wenig mitschuldig, es 
    hält gut aus.

  • S.

    Sonst wäre es recht behaglich – wenn es 
    nur ein „sonst“ gäbe.  Die Wogen des 
    Emigrantenelends, die an die 
    Hausmauern schlagen, laßen kein 
    „sonst“ aufkom̄en. Chamberlain’s 
    unselige Politik hat eine tief 
    gedrückte und beschämte Stim̄ung 
    hier erzeugt. Die Kriegserwartung 
    ist nicht zum Schweigen zu bringen. 
    Goethe’s Ausruf: Amerika, Du hast es 
    besser als unser Kontinent, der alte
    klingt uns wieder in’s Ohr.

    Es ist recht, daß Sie mich in alle 
    Komplikationen und Schwierigkeiten 
    Ihrer eigenen Lage Einsicht nehmen 
    lassen. So wenig ich Ihnen auch 
    beistehen kann, es genügt einem 
    Bedürfnis von mir, wenn ich 
    Anteil an ihnen nehmen kann.

    Til wird nun wieder herge-
    stellt sein. Schreiben Sie mir 
    bald u halten Sie tapfer aus 
    wie ich es auch versuche.

    Herzlichst Ihr
    Freud