• S.

    PROF. DR. FREUD 
    WIEN, IX., BERGGASSE 19.
    Berchtesgaden

    2. 8. 1929

    Dear Ruth

    Dies ist wol der letzte 
    Brief, den ich Ihnen schreibe. 
    Hoffentlich trifft er 
    sie noch, ehe Sie daran 
    gehen, Ihrer wißbegierigen 
    Til Europa zu zeigen.

    Der Sommer ist halb 
    vorüber, er war sehr schön 
    durch viel Besuche gestört, 
    aber in der zweiten 
    Hälfte wird es ebensoviele 
    geben. Anna wird heute 
    abends erwartet, der 
    Kongreß ist friedlich ver-
    laufen, dank der Ver-
    mittlung von Brill, der 
    sich sehr gut benom̄en hat. 
    Die Amerikaner haben 
    versprochen, anstelle des 
    Gegensatzes Arzt oder Nicht-
    arzt den von Ausgebildet 
    oder Nichtausgebildet zu setzen 
    und wertvollen Laien die 
    Aufnahme nicht mehr 
    zu verweigern. Wenn 
    sie das einhalten, wird 
    man bei uns nicht mehr

  • S.

    unterlassen, Auskünfte über 
    amerik. Kandidaten in Amerika 
    einzuholen. Anna’s Vortrag selbst 
    hat gut gefallen.  Meine Arbeit 
    („Das Unglück in der Kultur“) ist 
    soweit es hier möglich ist, 
    fertig geworden, mein 
    Urteil über sie hat sich 
    gefestigt, ich halte sie für 
    ganz überflüßig. – Am 15 
    Sept müßen wir Schnee-
    winkl verlassen. Es ist 
    noch nicht entsteschieden, 
    ob ich dann der Prothese 
    wegen nach Berlin gehe 
    oder sie Karolyi in Wien 
    ub anvertraue. McCord wird 
    am 1 Sept durch Dr Blanton 
    aus Poughkeepsie abgelöst. Ruths 
    bricht am 15. Sept ab. Dies 
    sind die wichtigsten Neuig-
    keiten. Sie müßen ja 
    von allem wissen.

    Ich freue mich sehr darauf, 
    Sie Alle bald wiederzusehen. 
    Daß Sie ein Haus nächst dem 
    vorjährigen bekommen 
    haben, wird sich gewiß 
    sehr angenehm erweisen. 
    Also glücklichste Reise. 
    Ihr 
    Freud