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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19.28. 1. 1929
Dear Ruth
Zuerst vom Langweiligsten, von der sog.
Gesundheit, damit man es hinter sich hat.
Meine Grippe verdiente vielleicht nicht
den Namen. Die Allgemeinstörungen
waren kurz u undeutlich, es war im
Wesentlichen eine akute Steigerung
des Nasen‑Rachenkatarrhs mit etwas
Tracheitis, also was man a cold heißt.
Jetzt vorüber, ebenso die spastischen
Darmstörungen der letzten Woche. (An
Abwechslung fehlt es also nicht). Die Grippe
ist hier noch nicht recht populär geworden,
Alfred Rie hat sie gehabt, sonst kaum
jemand unseres Kreises. In Berlin
scheint es lebhafter herzugehen.Von sonstiger Therapie: die bakterielle
Richtung ist eingestellt worden, Calcium
wurde durch die Darmkrämpfe unter-
brochen, die Quarzlampe hat sich er-
halten und scheint gut zu thun. Außer-
dem hat Schur Anna in der mechan-
ischen Beseitigung der Sekrete unter-
wiesen, die jeden Morgen vorgenom̄en
wird.Einem anderen Patienten geht es viel
schlechter. –Ich schreibe Ihnen so oft,
daß ich nie mehr weiß, was ich Ihnen
schon erzält habe. Darin läßt jetzt
auch mein Gedächtnis nach – Also nehmen
wir an, Sie wissen schon, daß der
Verlag heuer ein Defizit von $ 15,000!
erzielt hat u daß auch das Rufzeichen
nach dieser horrenden Summe Ihnen
bekannt vorkom̄t. Eitingon und
Ferenczi war gestern hier, um mit
uns über die Lage zu beraten.
Klar wurde nur, daß wir den meschug-
genen Storfer im Augenblick nicht -
S.
abstoßen können u daß bis Ende März mit
allen Mitteln ein Teil des Betrags aufge-
bracht werden muß. Wir haben keine Lust,
den Verlag u mit ihm unsere Zeitschriften
zu Grunde gehen zu lassen u damit der
I. P. V. das Rückgrat zu brechen. Es wurde
beschloßen, daß ich auch Ihnen schreiben
soll, uns noch vor Ihrem confinement
etwas Geld, möglichst viel, zu beschaffen,
mit Hilfe des Judge, wenn er helfen
will. Bei Barwald haben Sie vielleicht
viel verlangt, vielleicht glückt es bei
anderen mit weniger. Keine angenehme
Aufgabe, weder für Sie noch für mich,
aber … Wir würden uns für den
Verlag mehr schämen, wenn es irgendwem
in Oesterreich besser gienge. Mit solchen
Schnorrern soll man sich eben nicht ein-
lassen.Ich verstehe Ihr Ungeduld, die lieber mit 270
als mit 260 Tagen rechnet. Aber denken Sie
daran, daß das Kind es nie mals mehr so gut
haben wird. Von griechischen Namen prae-
sentiren sich mir Zoe, Melitta, Irene.David hat sich auf die Drohung der Entlassung
besonnen u seine Analyse geht jetzt ordent-
lich. Wozu sie führen wird? Medizin hat
er endgiltig aufgegeben.Sie überschätzen meine Leistungsfähigkeit,
wenn Sie meinen, daß ich nach Ägypten
gehen kann. Die Jahreszeit, zu der man
es dort aushält, ist auch bald vorüber.Ihr schönes Haus in Wien XVIII oder XIX
möchte ich auch bald besuchen. Unsere
Sommerpläne sind bis jetzt nur negativ:
Nicht auf den Semmering! Aber wo
werden wir etwas anderes finden?„Wo wird einst des Wandermüden
letzte Ruhestätte sein? usw. (Heine)Mit herzlichen Grüßen
für Sie u Mark
Ihr
Freud