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PROF. DR. FREUD. WIEN, IX., BERGGASSE 19
28. 3. 1929
Dear Ruth
Ich setze voraus, dies wird ein langer Brief
werden, und er wird unvollständig bleiben,
weil so viel zu berichten ist.Zuerst also Dank für Ihre Mitteilungen in
Briefen und Kabeln über Ihre Erlebniße
und Ihr wie des Baby Befinden. Gesam-
teindruck: alles ist gut und Ihre Gallenbe-
schwerden sind nicht psychisch. Baby wird
gewiß von Tag zu Tag schöner werden.Dafür, daß Sie unserem Verlag dies-
mal aus der Patsche geholfen, habe ich
Ihnen gewiß schon gedankt, kann
es aber nochmals thun. Von Brill
erhielt ich $ 1500, davon 500 sein eigener
Beitrag. Sie sind so gegen mich gerecht-
fertigt, der ich ihm keine freundlich
Handlung gegen unsere Sache zugetraut
hätte. Ich habe wol seine Gutmütigkeit
nicht richtig veranschlagt. Auch die Zeichen
seiner Gegnerschaft werden nicht ausbleiben.
Überhaupt die Lage unser psa. Institutionen
war noch nie so ungünstig wie jetzt. Das
Sanatorium in Tegel steht ebenso
vor der Katastrophe wie der Verlag;
der Kongreß in Oxford bringt die
Gefahr einer Spaltung der I. P. V. infolge
der Laienfrage, und es ist mir recht
zweifelhaft, ob es in der Pariser
Zusam̄enkunft am 9 April Eitingon,
Ferenczi und Anna gelingen wird
Jones davon abzubringen, daß er
diesen Gegenstandauf das Program̄von dem
des Kongreßes setzt.Zu mehr persönlichen Dingen. Wir
haben zwei sehr angenehme Wochen
in Berlin verbracht. Ich befand
mich körperlich sehr wol u wurde
von Schröder wenig geplagt. Zu
wenig, eigentlich. Es ergab sich, daß die -
S.
Zeit für eine ausgiebige Reduktion der Pro-
these noch nicht gekommen ist. Er begnügte
sich mit kleinen Abänderungen und
arbeitete, wie er sagte, auf Vorrat, dh
ich habe ein Recht, mich gegenwärtig nicht
wol zu fühlen und zu warten, bis der
Kiefer der neuen Situation nachgekom̄en
ist u das thue ich nun ziemlich misvergnügt.
Dann meinte er, am besten sollte ich in
6 Wochen wiederkom̄en, und das ist
doch mit den Aufgaben der Arbeit
und des Erwerbs nicht vereinbar.
Er sah es auch ein und versprach, an
den Dr Karolyi hier, den er anerkennt,
über mich zu schreiben.Für den verunglückten Froschdämon habe
ich mich durch eine schöne hellenische
Sphinx u einige kleinere Käufe bei
Lederer entschädigt. Im Ganzen find ich,
obwol Schr nichts von mir nimmt,
war die Behandlung bei Pichler doch
billiger.Eine ganz böse Sache scheint die Sommer-
frage zu werden. Bis jetzt haben
wir nichts als Ansprüche und einander
widersprechende Wünsche. Der
Semmering hat uns zuletzt nichts mehr
geleistet, aber man brauchte wenigstens
nichts neues zu suchen.Dieser Brief erfüllt gewiß die alte
Forderung, daß Ruth von allem
wissen muß. Wenn mir noch etwas
einfällt, schreibe ich einen Nachtrag.
Ruth verdient aber auch alle Inform-
ationen, weil sie selbst so getreu
und ausführlich berichtet.Mit herzlichsten Grüßen
für Sie, Mark und Baby M. I.
Ihr
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
14 Washington Sq.
10011 NY
United States
C20 F1