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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN IX., BERGGASSE 19Semmering
16. 7. 1928
Meine liebe Ruth
Die Hitze hier (sogar hier!) ist
dem Briefschreiben nicht
günstig. Aber ich muß Ihren
letzten Brief beantworten,
sonst sind Sie unversehens
hier, ehe ich dazu komme.Ihr Brief hat mich also
zuerst betrübt, denn ich habe
Marie doch gern und was
ist das für Neigung, die
nicht über Fehler und
Schwächen hinwegsieht? Bei
weiterer Lektüre nahm
aber das rein aesthetische
Vergnügen an Ihrer Schild-
erung so zu, daß ich auf
diesem Umweg mir leicht
sagen konnte, daß Sie
in allen Stücken Recht
haben. Freilich Sie haben
sie at her worst gesehen,
obsedirt durch ihr Ungeschick
in der Liebe und gegen-
über einer glücklicheren
Rivalin. Die Rivalität
hat ja auch sharpened
your pencil und ich
weiß Sie haben ohne
es jemandem böse
zu meinen, auch sonst
eine scharfe Art, Andere
zu kritisiren. Marie
kann auch liebenswürdiger
sein. Das thut der Richtig-
keit Ihrer Bemerkungen -
S.
keinen Eintrag. Besonders, was
Sie über ihr Verhältnis zum
Freund Tr. sagen, ist über-
wältigend wahr.Meine Frau hat Ihnen geschrieben,
wie schwer Ihre Uner-
bringung hier wird und
wartet auf Ihre Antwort.Über Mark habe ich nichts
zu sagen; ich weiß, daß er
erst vor der absoluten Not-
wendigkeit nachgeben wird,
und wann er die erkennt,
hängt allein von seinem
Urteil hab. Ich habe mich
darin nicht geirrt, daß die
Analyse ihm nichts Neues
zu sagen hatte.Ihre weiße Lekythos hat mich
sehr gefreut, aber Sie haben
sich für Ihre $ 100 genug be-
dankt u ich fürchte, sie in
Gegengeschenken längst
wieder abgetragen.Meine Illusion ist in engl.
Übersetzg gekom̄en, ein
Brief von Eitingon teilt
mit, daß die Sowjetzensur
ihre russische Übersetzg
verboten hat!!Heute war Sarasin, der
neue Schweizer Vorsitzende
tagsüber auf Besuch. Das
Haus wird überhaupt
selten leer.Ich grüße Sie u Mark
herzlich Ihr
Freud