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    PROF. DR. FREUD          WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    10. 4. 1929

    Lieber Herr Doktor

    Ich drücke Ihnen meine Teilnahme zu 
    Ihrem großen Verlust aus. Es berührt 
    mich jedesmal sonderbar, wenn ich vom 
    Tode eines Mannes höre, der jünger 
    ist als ich. Darüber wäre viel zu sagen.

    Ihre Mignon möchte ich jetzt der 
    Imago übergeben.  Noch immer wünschte 
    ich, daß gewiße Resultate direkter 
    ausgesprochen würden, anstatt ihre 
    Formulirung dem Leser zu über-
    lassen, zB daß Mignon die Verdichtung 
    von Cornelia, Jakob u der anderen 
    frühverstorbenen Geschwister darstellt 
    und gleichzeitig als Kind des Inzests 
    auch Goethe’s u der Schwester Kind 
    sein muß, oder daß in soviel Zügen 
    G. Vater’sidentifizirung hervortritt. 
    Aber das ist nun einmal Ihre 
    diskrete Art, die von einem 
    anderen nicht verwischt werden 
    soll.

    Einen kleinen Passus über Alerte
    Arete verstehe ich nicht (S. 91), doch bei 
    nochmaliger Lektüre habe ich’s verstanden, 
    Ihr Wort Misverständnis hatte mich 
    irre gemacht, es sollte auch besser 
    Irrtum“ heißen.

    Zur Bestätigung Ihrer Deutung des 
    Knabenmärchens kann ich Ihnen einen 
    Einfall anbieten, den Sie nach 
    Belieben verwerten oder ver-
    werfen wollen.

    G. muß den Garten verlassen infolge 
    eines Streits mit Alerte. Nach Ihrer 
    Deutung verliert er das großväterliche 
    Paradies infolge des Streits zwischen 
    dem Vater und Großvater Laertes