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    Wien, 11. Dezember 1921

    Liebe Freunde !

    Vor allem geben wir unserer Freude Ausdruck, daß Du l. Abraham und Du 
    l. Ferenczi, Euch entschlossen habt, die Wiener Einladungen der amerikanischen 
    Kurse anzunehmen. Der Ordnung halber wiederholen wir, daß Abraham kurz 
    vor oder nach Neujahr kommen und über Trieblehre sprechen will. Ferenczi 
    und Róheim (letzterer zu einem englischen Vortrag über den Totemismus) 
    wollen am 6. und 7. Januar kommen. Natürlich wäre es sehr schön, wenn Ihr Euch 
    hier treffen könntet, und wir möchten Euch nahelegen, über diese Möglich-
    keit direkt miteinander in Verbindung zu setzen. Was die Themen betrifft, 
    so bleibt es Dir l. Abraham natürlich freigestellt, über Trieblehre im allge-
    meinen zu sprechen und ich möchte nur bemerken, daß die Hörer sich die 
    Lehre von den Trieben und den Triebschicksalen mit Einschluß der Ich-Triebe 
    (Jenseits) wünschten. Es wäre dabei auch Gelegenheit, auf die Übertrei-
    bung Jungs (im Sinne der Libido) und Adlers (im Sinne der Ich-Triebe) 
    kritisch und aufklärend einzugehen. Es stehen Dir dafür 2-3 Aben-
    de zur Verfügung und es wäre uns sehr angenehm, möglichst bald die genauen 
    Daten und Titel Deiner Vorträge zu erfahren. Dasselbe gilt auch für Dich 
    l. Ferenczi, wobei ich annehme, daß Du mit dem Thema Metapsychologie einver-
    standen bist. Da Du nur zwei Tage angibst und die Hörer auch etwas über Pat-
    honeurosen von Dir erwarten, möchte ich Dir vorschlagen, einen Vortrag 
    über dieses Thema zu halten, den zweiten über ein metapsychologisches.

    Zur Ernennung des Professors zum Ehrenmitglied der holländischen 
    Psychiatrie-Gesellschaft  über die im nächsten Heft der Zeitschrift eine 
    kurze Notiz erscheinen wird – ist noch ein interessantes Detail nachzutragen, 
    daß nämlich in der Debatte, die nicht ganz einhellig war, Prof. Winkler 
    erklärte, daß er trotz seiner Gegnerschaft gegen Freuds Lehre, dessen per-
    sönliches Verdienst um die Psychiatrie so hoch schätze, daß er für die 
    Ernennung stimme (die mit 50 gegen 20 Stimmen erfolgte).

    Vom Verlag ist zu melden, daß die Taschenausgabediese Woche 
    ausgegeben und versandt wird. Der Preis beträgt 100 Mk. für den Leinen 
    und 150 Mark für den Lederband, wovon die Mitglieder 25% Rabatt bekommen 
    (Nicht-Mitglieder, z. B. in der Poliklinik den vollen Preis bezahlen, jedoch 
    ohne den üblichen Buchhändler-Zuschlag). Anfangs nächsten Jahres erscheinen 
    kl[eine] Schriften 2-te Folge in 2-ter Aufl., 5- te Folge neu, Alltagsleben 8-te 
    Auflage, welche Bücher schon fertig sind, aber noch nicht ausgegeben werden. 
    Der Verlag selbst hat immer noch kein eigenes Lokal, aber auch sonst ganz 
    kolossale Auslagen, da alles hier maßlos steigt. Eine ausgiebige materiel-
    le Hilfe wird wie immer sehr nötig.

    Groddeck schrieb, daß seine Briefe an eine Freundin jetzt abge-
    schlossen seien und er das Manus[kript] Ende des Monats einschicken werde. Im 
    nächsten Jahr will er die Fortsetzung des Thomas Weltlein schreiben. Er 
    schlägt übrigens als Ort für den zweitnächsten Kongreß Baden-Baden vor, 
    was der Professor sehr diskutabel findet. 

    Für Weihnachten kündigten Varendonck aus Genf und Prof. Lévy-
    Bianchini Ihre Besuche in Wien an. Wir sind natürlich sehr dafür, daß V

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    [arendonck] in die holländ. Gruppe aufgenommen werde und würden dies als ersten Schritt 
    in der Aufnahme der Nicht-Ärzte in Holland be- sonders begrüßen. Bianchini 
    bringt den ersten Band der italienischen Vorlesungen mit.  Seine Ankunft 
    mahnt mich daran, Dich l. Sachs zu fragen, wie es mit der italienischen Über-
    setzung des Tagebuches steht, an der Du oder Frau Dr. Alexander oder alle 
    Beide, das Interesse verloren zu haben scheinen. Ich möchte jetzt Bianchini 
    definitiv sagen, ob wir darauf rechnen können oder nicht und bitte um 
    umgehende Antwort außerhalb des Rundbriefes.

    Ad Berlin: Koerbers Kurs-Programm ist durch Zufall in unsere Hände 
    gelangt und wir haben es in Unkenntnis der Verhältnisse abgedruckt und be-
    dauern, wenn wir damit einen faux pas begangen hätten. Die 4 Stärcke Bei-
    hefte für Abraham, Horney, Sachs und Smeliansky sind jetzt abgegangen. 
    (An die Poliklinik.) Wir ersuchen um Empfangsbestätigung und möchten drin-
    gendst bitten, dies bei allen Sendungen zu tun, da die Post jetzt derart un-
    verläßlich arbeitet, daß wir fortwährend Reklamationen bekommen und ohne 
    Bestätigung nie wissen, ob die Sendungen ein- getroffen sind. So versandten wir 
    am 22. Oktober 14 verschiedene Bände von Zeitschrift und Imago, die bis heu-
    te unbestätigt sind. Ebenso wissen wir nicht, ob Du l. Abraham die beiden 
    s.Z. gewünschten Imago-Hefte erhalten hast. (Auch von Radó steht noch Nach-
    richt aus, ob er unsere große Zeitschriftensendung erhalten hat, 
    bitte urgieren, l. Ferenczi.)

    Von den 3 Exemplaren Zeitschrift, die Du 
    l. Abraham irrtümlich erhalten hast, bitte zwei zurückzusenden, oder mitzu-
    bringen, da 1 Exemplar jetzt direkt an die Poliklinik geht.

    Bezüglich der Differenzen [in] der Tic-Diskussion ergibt sich eine 
    unerwartete Hoffnung, die von Dir l. Abraham gewünschte mündliche Diskussion 
    mit Ferenczi bald in Wien zu haben. Was Bjerre betrifft, so würde es unse-
    ren Wünschen nicht entsprechen, wenn er am Kongreß teilnähme. Was endlich 
    Deine Frage l. Abraham nach dem nächsten Rundbrief betrifft, so wären wir mit 
    Rücksicht auf Euren späteren Reisetermin doch dafür, daß am 21. ein Brief abgeht 
    und dafür der vom 1. Jänner ausfalle.

    Ad Bpst. Auch die Angelegenheit Dick wird sich natürlich mündlich 
    viel leichter erörtern lassen. Was uns jetzt übrigens viel dringlicher erscheint, 
    als Dr. Dukes für seine Bemühungen in dieser Angelegenheit 2000 ung. Kronen verlangt 
    und ich sehr zweifle, ob Deuticke, der ebensowenig wie ich 
    darauf vorbereitet war, seinen Anteil wird bezahlen wollen.

    Der angekündigte Beitrag zur Symbolik lag Deinem Briefe nicht bei. 
    Sadgers Buch ist bereits an Dich abgegangen (erbitten Bestätigung) und wir 
    freuen uns, daß Du das Referat übernommen hast. Bezüglich der unveröffentlich-
    ten Komitee-Mitteilungen glauben auch wir, daß Du l. Ferenczi im allgemeinen 
    Recht hast, doch hat sich Jones in seinem Rundbrief eigentlich bei Professor 
    und Abraham in so liebenswürdigerweise entschuldigt, daß wohl nichts weiter 
    darüber zu sagen ist. Allerdings würde sich in ähnlichen Fällen eine vor-
    herige Absprache empfehlen. A propos Komitee-Mitteilung würde ich Dich l. Feren-
    czi bitten, mir den „umgekehrten“ Familienroman Deiner Gräfin mit allem 
    was [Du] dazu noch erinnern kannst, aufzuschreiben, da ich sehen will, ob er zu ei-
    ner Idee von mir paßt. Polgars Groddeck-Feuilleton lege ich Dir bei. 

    Ad London: Deine Anfrage l. Ernest wegen event[ueller] Mitglied-
    schaft Homosexueller möchten wir nicht in Deinem Sinne beantworten, d. h. 
    wir möchten solche Personen nicht grundsätzlich ausschließen, da wir ja 
    auch ihre gerichtliche Verfolgung nicht billigen können. Wir meinen, die Ent-

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    Entscheidung in solchen Fällen sollte einer individuellen Prüfung der sonsti-
    gen Qualitäten vorbehalten bleiben. Bei dieser Gelegenheit möchten wir 
    übrigens privatim mitteilen, daß der junge Kolnai, der als Mitglied der Bu-
    dapester Gruppe seit der Räteregierung in Wien lebt und an unseren Sitzun
    gen teilnimmt, deutliche Züge einer schweren paranoischen Erkrankung zeigt. 
    Da er wiederholt die Absicht äußerte, nach Ungarn zurückzukehren, möchten 
    wir besonders Dir, l. Ferenczi Vorsicht mit ihm empfehlen (Näheres mündlich).
    Wir gratulieren Dir, l. Ernest, zur Beendigung der Revision der Vorlesungen 
    und bedauern noch mehr als Du, daß diese wertvolle Arbeit nicht dem Ver-
    lag zugute kommt, doch können wir dabei nicht umhin, Dich daran zu er-
    innern, daß Du selbst das Buch zu leicht hergegeben hast. Damit wir wenig-
    stens etwas davon haben, bitten wir Dich zu veranlassen, daß Unwin uns 
    von dem fertigen Werk drei Exemplare für den Professor und den Verlag 
    schicke.– Róheims Selbst wird nicht in Buchform erscheinen; der letzte 
    vierte Teil erscheint im nächsten Imagoheft Ende Dezember.– Dieser Tage hat 
    Róheim sein englisches Totembuch endlich als fertig angekündigt; er wird es 
    noch in diesem Monat nach Wien schicken. Hiller wird Dir weitere Details be-
    richten und mit Dir besprechen. Auch über eine Besserung und Beschleunigung 
    des Druckes wird Dir Hiller erfreuliche Mitteilungen machen.

    Die außerhalb des Verlages erscheinenden psychoanalytischen Bücher z.B. Schriften 
    zur Seelenkunde bei Deuticke etc. etc. werden von der Referatenzentrale wie 
    alle anderen Neuerscheinungen behandelt; d. h. sie werden dem betreffenden 
    Fachreferenten zugewiesen (z. B. Sadger, Hebbel an Sachs; Hug Kinderseelenle-
    ben an Bernfeld etc.) und ich glaube, es wäre das Einfachste, wenn das 
    englische Journal diese (wie auch andere Referate) aus unseren beiden Zeit-
    schriften übersetzen würde. Wir machen es ja mit der englischen Literatur, 
    die im Journal referiert ist, genauso. Dasselbe würde also auch für Sadgers 
    Buch gelten, dessen Referat durch Ferenczi das Journal übersetzen könnte. 
    Der Nachtrag zu Ferenczis Brückensymbolik ist noch nicht veröffentlicht. 
    Wenn Du l. Ernest ihn willst, bevor er im Deutschen gedruckt ist, so kann 
    ich ihn Dir schicken.

    Die Ausschnitte vom letzten Budapester Brief lege ich Dir bei. Mit Dei-
    nem Vorschlag der Zirkulation sind wir einverstanden.

    Vom Teufel wissen wir nichts. Unsere ersten Einfälle sind: Frigidität 
    (Professor) und kalter Bauer (Rank).

    Mit dem Zirkular in der Angelegenheit McCann ist der Professor ein-
    verstanden. Ich lege es Dir wieder bei.

    Herzlich

    [Rank Freud]