• S.

    Wien, am 21. Dezember 1921

     

    Liebe Freunde!

    Von hier sind einige erfreuliche Zeichen der Internationa-
    lität zu berichten.

    Zunächst daß Professor Bianchini aus Nocera (bei Neapel) hier 
    war und den ersten Band der italienischen Vorlesungen (Fehlhandlungen und 
    Traum) mitgebracht hat. Die Übersetzung stammt von Edoardo Weiss, unserem 
    Triestiner Mitglied, der das Buch auf eigenes Risiko drucken ließ. Prof. B[ianchini] 
    selbst ist sehr eifrig und energisch und hat durch seine bisherige Überset-
    zertätigkeit der Psychoanalyse in Italien große Dienste geleistet.

    Ferner schrieb Bose aus Kalkutta – der Verfasser eines guten 
    Buches über Regression – daß er die Absicht habe, in Kalkutta eine psychoanalytische 
    Gruppe zu gründen, der mehrere Ärzte und andere Interessenten angehören 
    sollen. Er habe sich deswegen bereits mit Jones in Verbindung gesetzt. 
    Die Analyse sei in Indien sehr populär und werde in der Tagespresse 
    viel besprochen.

    Weiters schrieb unser ehemaliges Mitglied Wulff aus Odessa, 
    der jetzt in Moskau lebt, daß die dort arbeitenden Analytiker in die In-
    ternationale Vereinigung als Ortsgruppe eintreten wollen. Der Professor 
    schrieb ihm, er möge sich mit Jones in Verbindung setzen. Im Übrigen bestä-
    tigt Wulff die Nachrichten über die psychoanalytische Bewegung in Moskau, wie wir sie in 
    der letzten Nummer der Zeitschrift veröffentlicht haben.

    Weiters sandte Jelliffe dem Professor seine sämtlichen Sepa-
    rata sowie eine Neuauflage seines Buches über die Technik; auch White sand-
    te ein Buch. 

    Ferner kam ein Buch von Eastman: The sense of humor (New Y-
    ork, Charles Scribner & Sons 1921), das die analytische Auffassung des Witzes 
    zitiert, aber im übrigen das Thema in journalistischer Weise behandelt.

    Der spanische Verleger in Madrid teilte mit, daß die Über-
    setzung des Alltagslebens Ende dieses Monats erscheinen wird. In nächster 
    Zeit folgen: Über Psychoanalyse, der kleine Traum, Sexualtheorie und Jenseits in einem 
    Bande. Im Jahre 1922 will er alle Werke des Professors heraus- gegeben haben.

    In einer Nummer von La Nacion aus Columbia, die der Prof. 
    zugesandt erhielt, befindet sich ein längerer Artikel über Psa.

    Endlich erhielt der Professor ein Schreiben von einer engli-
    schen Frau mit deutschem Namen (offenbar einer ehemaligen Patientin), einen 
    Brief voll Dankbarkeit für die Analyse, der auch einen Scheck auf 32.222 
    Kronen für wohltätige Zwecke enthielt. Der Brief war vom Carlston College 
    in Minnesota adressiert. Diese Spende ist als erste ihrer Art besonders be-
    merkenswert.

    Im Anschluß daran sei gleich erwähnt, daß wir hoffen, im 
    neuen Jahr die Propaganda für die Werbung um Geldmittel für die psychoanalytische Bewe-
    gung in Angriff zu nehmen und wir rechnen dabei sehr darauf, daß uns der 
    Tätigkeitsbericht der Poliklinik dabei wirksam unterstützen wird. Wie bereits 
    im September besprochen, denken wir uns diesen Bericht ziemlich eingehend, 
    so daß er als Separatabdruck auch eine ge- wisse Repräsentation hat. Wir bitten 
    Dich besonders, l. Eitingon, bei der Abfassung des Berichtes darauf Dein 
    Hauptaugenmerk zu legen.

  • S.

    Was die Kursvorträge betrifft, so dürfte sich nach den bisher vorliegen- 
    den Nachrichten das Programm folgendermaßen gestalten: Am 4. und 5. wird 
    Abraham sprechen und zwar einen Vortrag über prägenitale Organisationen, einen 
    zweiten möchten wir ihm empfehlen über Ich- und Sexu- altriebe mit bes[onderer] 
    Berücksichtigung der Kritik der Jung resp[ektive] Adlerschen Abweichungen. Auch 
    der Professor ist der Ansicht, daß didaktisch Vorträge für die Leute 
    das Wichtigste sind. Es ist daher durchaus überflüssig, wie Du l. Abraham 
    das andeutest und wie Róheim möchte, den Leuten etwas Neues vorzutragen. 
    Sie sind im Alten noch nicht sattelfest und brauchen Belehrung sowie Auf-
    klärung viel nötiger.– Am 6. und 7. wird Ferenczi sprechen und zwar einen 
    Vortrag über Pathoneurosen, den zweiten über Metapsychologie. Ob Róheim erst 
    am 8. (Sonntag) sprechen kann oder auch schon früher, wird vom ganzen Pro-
    gramm abhängen, das einigermaßen schwierig zusammenzustellen ist, da am 
    4. abends eine Sitzung der Vereinigung stattfindet und die Leute nachmitt-
    ags mit ihrer Analyse beschäftigt sind, so daß Du l. Abraham wahrscheinlich 
    an zwei Vormittagen sprechen wirst (denn den 5. Abend ist gewöhnlicher 
    Kurs). Du l. Ferenczi dagegen wirst voraussichtlich am 6. und 7. abends 
    sprechen können und Róheim könnte an einem der beiden Vormittage 
    vortragen.

    Du l. Abraham und l. Ferenczi seid Gast des Professors und 
    könnt in dem zur Verfügung stehenden Gastzimmer gerade einander 
    ablösen. Róheim wurde von Dr. Rickman eingeladen, der ihn von früher her kennt. 
    Ich erwarte schließlich definitiv telegraphische Nachricht Eurer resp. 
    Ankunftstage und Stunden, eventuell auch außerhalb des Rundbriefes Mit- 
    teilungen über Zeit, Thema etc. der Vorträge.

    ad Bln. Fenichel sowie noch ein anderes Mitglied des Sex[ologischen] Sem[inars] 
    sind Mitglieder der Wiener Gruppe; sie sind beide eifrig und besonders 
    Reich in der Analyse ganz tüchtig. Mit dem Sem[inar] selbst haben wir gar nichts 
    zu tun.

    ad Bdp. Dein Brief l. Ferenczi kam mit 10-tägiger Verspätung hier 
    an. Können wir darauf rechnen, daß Du die Paralyse-Arbeit mitbringst, oder 
    daß sie wenigstens bald fertig ist? Wir wollen den neuen Jahrgang der Zeitschrift 
    damit beginnen.

    ad Ldn. Zur Anfrage über Traumanlaß, Traumveranlassung und 
    Traumerreger: Zwischen den ersten beiden ist gar kein Unterschied, das 
    dritte ist auch dasselbe, nur mehr vom persönlichen Standpunkt.

    Anläßlich des Abschlusses des II. Bandes vom Journal, der in die-
    sen Tagen erfolgen wird, möchten wir bei aller Anerkennung der respektablen 
    Leistung, die darin steckt, doch wiederholen, daß uns die schlechten Arbei-
    ten der Amerikaner, die bisher gebracht wurden, ein Dorn im Auge sind und daß 
    wir hoffen, Du l. Ernest werdest im neuen Jahre strenger darauf achten, 
    daß dieser transatlantische Mist nicht gerade bei uns abgelagert werde. 
    Es gibt nämlich auch gute Arbeiten in Amerika und wird wie der Professor 
    hofft, immer mehr von ihnen geben, wenn erst die hier weilenden Amerikaner 
    nach Hause gekommen sein werden. Auch sollte es trotz Deiner Überbür-
    dung l. Ernest, nicht vorkommen, daß Du eine ungelesene Arbeit (wie die 
    von Varendonck) in Druck gibst, da doch das Journal ganz besonders 
    auf gute Qualität seiner Arbeit sehen muß.

    Hiller ist gestern auf Weihnachtsurlaub nach England gegangen und 
    wird Mitte Januar wieder da sein.12 Seine Arbeit in der Druckerei hat kei-
    ne Unterbrechung, da ich selbst ihn vertrete. Er war in den letzten Monaten 
    sehr fleißig und hat sich den Urlaub ehrlich verdient.

    Mit den herzlichsten Weihnachtswünschen

    [Rank Freud]