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Rundbrief Nr. I. vom 15. XII. 24.
Liebe Freunde!
Wir eröffnen heute die Korrespondenz, deren Unterbrechung ich leb-
haft bedauert hatte. Das neu eintretende Mitglied, meine Tochter und
Sekretärin, weiß die Anerkennung zu schätzen.Wir teilen mit, daß die Vereinigung in ihrer letzten Sitzung sich
für Luzern entschieden hat und als Zeitpunkt des Kongresses die erste
Hälfte des Monats September allen anderen Bestimmungen vorzieht. Wahr-
scheinlich werden die anderen Vereinigungen sich ähnlich äußern.Frau Dr. Deutsch, die unter der Nachwirkung ihrer Berliner Eindrücke
steht, ist mit dem Plane hervorgetreten, ein Lehrinstitut zu gründen,
welches von der Leitung der Poliklinik unabhängig ist. Dasselbe soll den
Lehrplan festsetzen, die Überweisung der Patienten an ihre Analytiker
übernehmen und die Kontrollanalysen der Lernenden durchführen. In seiner
Organisation soll es aus drei Mitgliedern bestehen, Obmann, Stellvertreter
und Schriftführer und sich die Personen der Vortragenden als Lehrkörper
angliedern. Als Leiter dieses Lehrinstituts hat Frau Dr. Deutsch sich
selbst vorgeschlagen, als Stellvertreter Dr. Bernfeld, als Schriftführer
Anna Freud. Die Namen der Vortragenden sind bekannt. Dieser Vorschlag
ist in einer Sitzung des Vereinsvorstandes gebilligt worden und soll
heute, den 15., zur Verhandlung in einer Geschäftssitzung kommen. Es
wird erwartet, daß er trotz voraussichtlicher Opposition von manchen
Seiten durchdringen wird. Die Leitung des Ambulatoriums selbst bleibe
wie bisher bei Dr. Hitschmann.Die Bedeutung dieser Neuerung liegt darin, daß sie einen schonenden
Versuch darstellt, die Tätigkeit Hitschmanns, gegen den sich schwerwiegen-
de Bedenken erhoben haben, einzuschränken. Unter uns ist es kein Geheimnis
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… daß Dr. Hitschmann intellektuell sehr nachgelassen hat und Charakter-
eigenschaften entwickelt, die bei dem Leiter eines solchen Unternehmens
nicht wünschenswert sind.Das Vereinsleben, an dem ich leider nicht teilnehmen kann, scheint
recht lebhaft zu sein. Die alten Mitglieder sind zwar zumeist in einem
Zustand von Erstarrung, aber die jüngeren tun sich zu Gruppen zusammen,
treffen einander privat und zeigen lebhaftes Interesse.In der Frage der Aufnahme neuer Mitglieder ins Komité möchten
wir gleichfalls für ein konservatives Zurückhalten stimmen, wenigstens
eine Zeitlang, bis das gegenwärtige Komité sich wieder gefunden hat und
seiner Funktion sicher ist. Jones hat gewiß recht, wenn er diesmal
den Akzent mehr auf die Interessengemeinschaft als auf eine erzwungene
persönliche Intimität legen will. Aber letztere besteht doch bereits
und es ist gewiß nichts gegen sie zu unternehmen.Noch eine Angelegenheit des Vereins. Wir gehen damit um, auch in
Wien die Gliederung in ordentliche und außerordentliche Mitglieder ein-
zuführen; es soll aber nicht früher geschehen, als bis wir von Berlin
und London Auskunft bekommen haben, wie Sie es in Ihrem Kreise halten.
Wir bitten also Berlin und London, uns gefällige Auskunft möglichst
bald und außerhalb des Rundbriefs zuzuschicken.Last not least, in der Sache Ranks ist eine überraschende, für
jeden von uns erfreuliche Wendung eingetreten, von welcher die
einzelnen Mitglieder durch unmittelbare Mitteilung Kenntnis erhalten
werden.Mit herzlichen Grüßen
Freud Anna Freud