S.

                                  Wien, am 1. November 1923

Liebe Freunde!

Vor allem die erfreuliche Nachricht, daß die Rekonvales-
zenz des Professors die besten Fortschritte macht. Der Professor verbringt
bereits täglich einige Stunden außer Bett, hat auch schon bei dem herr-
lichen Herbstwetter, das wir jetzt hier haben, eine Ausfahrt unternommen
und arbeitet ziemlich fleißig (literarisch). Wann die analytische Tätig-
keit beginnen kann, steht noch nicht fest. Prof.s Stimmung ist sehr gut.

Sonst ist von hier wenig zu melden. Gestern hatten wir die 
erste wissenschaftliche Vereinssitzung (kleine Mitteilungen). Der Verlag ar-
beitet bis jetzt in gewohnter Weise weiter, da er die vom Sommer her in
Arbeit befindlichen Werke herausbringen muß, obwohl der Verkauf immer
spärlicher wird. Die ersten vier Bände der Gesamtausgabe, die im Frühjahr 
erscheinen sollen, sind durch die bisherigen Zeichnungen – namentlich durch
eine große von Brill – gesichert.

Prof. Schmidt und Frau aus Moskau waren auch in Wien zu
Besuch bei uns. Mit Prof. Schmidt, der gleichzeitig Direktor des Moskauer
Staatsverlages ist, habe ich verschiedene verlegerische (Übersetzungs-)
Fragen besprochen. Der Verlag wird einen Bericht über das psychoanalytische Kinderheim 
in Moskau, das mir Frau Schmidt übergeben hat, wahrscheinlich veröffentlichen.

Wir sind auch ganz Deiner Meinung l. Karl, daß die Moskauer
Gruppe unbedingt aufgenommen werden muß.

Ich weiß nicht, ob Dir l. Ernest bekannt ist, daß seit
etwa einem Jahre in Australien eine Zeitschrift erscheint, die sich viel mit
Psa. beschäftigt: „The Australian Journ. of Psychology and Philosophy“ ed by
Francis Anderson, M.A., Emeritus Prof. of Phil. Sydney. S. Ratcliff, Secretary,
Challis House, Martin Place, Sydney, N. S. Wales. –

Ferner wurden mir bekannt: „Notes on a possible generalisation
of the Theories of Freud by Joan Rivière. The Criterion, Vol. I. No. 4, July 23.
Und: „The key of Dreams“ by L. Adams Beck (Constable).

                         Mit herzlichen Grüßen
[Freud/Rank]