• S.

    Wien, 18. März 1923

    Liebe Freunde!

    Da in letzter Zeit auch die anderen Rundbriefe meist verspätet
    eintreffen, möchten wir vorschlagen, von jetzt an vorläufig den Termin für
    den Rundbrief mit jedem ersten Sonntag im Monat anzusetzen, da sich in
    der zweiten absteigenden Hälfte der Saison die Neuigkeiten gewöhnlich spar-
    licher zu sein pflegen. Wir bitten im nächsten Brief um Äußerung zu die-
    sem Vorschlag.

    Im Verlag haben die unsicheren und schwankenden Verhältnisse,
    die jetzt in Deutschland herrschen, noch zu keiner definitiven Entscheidung
    geführt; augenblicklich sind die Herstellungskosten hier wie dort ziemlich
    gleich, doch haben wir noch günstige Papierkäufe draußen abgeschlossen, so 
    daß die Herstellung in Leipzig (Imago) noch immer etwas günstiger ist. Alles 
    hinaus zu verlegen scheint aber derzeit nicht ratsam, wenigstens nicht, wenn 
    man nicht über genügend Kapital verfügt, um eventuelle weitere Krisen durch-
    halten zu können. Infolgedessen hat sich auch Storfers Reise nach Deutsch-
    land verzögert; doch wird er in der nächsten Zeit fahren, um sich zu in-
    formieren. Unter diesen Umständen erscheint auch eine entsprechende Informa-
    tion der Komitee-Mitglieder über die nächsten Absichten des Verlages sehr 
    schwierig, wie Du l. Hanns in einem Privatbrief an mich (Rank) ganz richtig er-
    kannt hast, und der Verlag muß sich, soweit kaufmännische Erwägungen in Frage 
    kommen, die Freiheit seiner Entschlüsse vorbehalten.

    Die Trennung von der Press ist nunmehr auch räumlich vollzogen,
    indem Hiller gestern mit der „Press“ nach London übersiedelt ist. Die Abrech-
    nung hat sich durch Einbeziehung der s. z. Brill-Spende von 1200 Dollars, 
    die der Verlag der Press gutgeschrieben hat, bis auf ein kleines Guthaben
    zugunsten des Verlages ebnen lassen und wir sind eigentlich froh gewesen, 
    die Angelegenheit so zu einem raschen Abschlusse gebracht zu haben, der auch 
    nicht den geringsten Schatten einer Bereicherungsabsicht auf Seiten des Ver-
    lages zurückgelassen hat. V. b. sind jetzt nur noch die vertraglichen Abmachun-
    gen für das zukünftige Verhältnis von Verlag und Press zu machen, die sich
    hauptsächlich auf die Überlassung der im Verlag erschienenen Arbeiten zur
    Übersetzung beziehen. Ich hoffe l. Ernest, daß auf Grund unserer privaten
    Korrespondenz darüber nunmehr keine Schwierigkeiten mehr im Wege stehen.

    Da der Einlauf von Manuskripten, insbesondere für Imago in letzter
    Zeit etwas zu wünschen übrig läßt, möchten wir besonders Dich l. Karl, und l.
    Sándor bitten, die in Euren letzten Briefen erwähnten Gastvorträge, soweit
    sie zur Publikation geeignet erscheinen, für die Imago zu akquirieren. (Eignet
    sich nicht auch Dein Hamburger Vortrag, l. Karl, dessen Inhalt wir auf jeden Fa-
    ll gerne kennen lernen würden, zur Veröffentlichung in Imago?)
     

  • S.

    Sonstige Neuigkeiten: Von Romain Rolland erhielt der Professor einen sehr  
    liebenswürdigen Brief, der zu einem kleinen amüsanten Briefwechsel Anlaß  
    gegeben hat.  

    Saussures erst kürzlich erschienenes Buch über die Psychoanalyse  
    soll wegen der darin (von Odier) mitgeteilten Traumanalyse in Frank-  
    reich verboten worden sein, da man darin einen Verstoß gegen die ärztl.  
    Diskretionspflicht erblickte. Ich glaube, daß Du, l. Max, die Nachricht aus  
    Paris nach der Schweiz mitgebracht haben solltest. Saussure befindet sich seit  
    mehreren Monaten auf einer Weltreise.  

    In der nächsten Zeitschrift-Nummer, die noch vor Ostern erscheinen  
    soll, ist unter Bewegung der Bericht der Kasaner Gesellschaft abgedruckt,  
    aus dem die rege Tätigkeit auch dieser Gruppe zu ersehen ist.  

    Übrigens ist der aus Rußland längst angekündigte 2. Band der Vor-  
    lesungen bisher nicht eingetroffen und der Prof. läßt Dich l. Max fragen,  
    ob Du nichts davon gehört hast, oder ihn vielleicht besorgen könntest?  

    Endlich ist das erste Heft der neuen amerikanischen Zeitschrift 
    für Sexology and Psychoanalysis, herausgegeben von Robinson und Tannenbaum er-
    schienen; es ist nicht besser als seine Vorläufer („Eros“ und „Psyche“), scheint  
    aber glücklicherweise mehr ins Sexologische hinüberzuschielen.  

    Der Berliner Gruppe und Poliklinik gratulieren wir zu dem neuen 
    Beschluß, der hoffentlich die besten Früchte zur weiteren Ausgestaltung  
    des Instituts und zur Vorbereitung der Analyse tragen wird, wenn auch nur 
    ein Teil der großen Pläne vorläufig verwirklicht werden sollte.  

    Dieser Tage erschien übrigens auch der Bericht über die Poliklinik als Sonder-
    abdruck aus der Zeitschrift in Broschürenform.  

    In der Wiener Poliklinik sind die behördlichen Schwierigkeiten wie  
    es scheint überwunden, so daß der volle Betrieb wieder aufgenommen werden 
    kann.  

    Mit herzlichen Grüßen  
    [Freud/Rank]