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Wien No 5/B.u.Bp.ohne Nummer
L.5
Wien, am 21. Februar 1921Liebe Freunde!
Wir haben dieses Briefpapier in Wien anfertigen und
versenden lassen und hoffen, daß es bereits angekommen und in Verwendung
genommen wurde.Wien: Der Verlag ist gestern in sein neues Büro überge-
siedelt (Wien III/1, Weissgärberlände 44–46), wo wir Raum und Personal zur
glatten Abwicklung der administrativen und expeditiven Arbeiten zur Verfü-
gung haben. Die Redaktion verbleibt weiterhin in der Grünangergasse, wohin
auch, wie bisher, die gesamte Korrespondenz zu richten ist. Die schon drin-
gend gewordene Raumfrage wurde nicht aufgeschoben, bis volle Klarheit über
Kolas Absichten herrscht, da wir jetzt eher mit dem Nichtzustandekommen
der Fusion rechnen. Kola will nämlich die Wiener med. Wochenschrift, das offi-
zielle Organ der Gesellschaft der Ärzte herausgeben, und unter dem Patro-
nat der Wiener Fakultät einen großen medizinischen Verlag gründen. Wir er-
klärten, daß wir auf voller Unabhängigkeit bestehen und überhaupt nicht
gerne mit der Fakultät in einen solchen Rahmen gespannt würden, umso mehr als dieser
Wunsch auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte.–Das erste Heft der Zeitschrift hat sich infolge einer Reihe
von technischen Zwischenfällen verspätet und dürfte erst Mitte März er-
scheinen. Inzwischen wird aber das zweite, bereits in Wien gedruckte Heft
auch fertig sein.– Imago 2. Heft ist beinahe fertig.– Vom Jahresbericht feh-
len noch immer einige Beiträge aus Berlin (Abraham, Boehm, Sachs), die wir so
rasch wie möglich – wenn auch unvollständig – erbitten!Stärcke hat zu seinem Kongreß-Vortrag eine geist- und tempe-
ramentvolle Einleitung geschrieben und das ganze soll als nächstes Bei-
heft gedruckt werden.– Ferner hat Winterstein das Manuskript eines Buches
über die attische Tragödie eingereicht, von dem wir meinen, daß es sich et-
zur Publikation in englischer Sprache eignen würde (es fußt auf einer An-
zahl englischer Forscher). Wir denken uns, daß eine sehr gekürzte Darstel-
lung des Hauptinhaltes in Imago erscheinen soll, während der volle Text als
englisches Buch erscheinen könnte. Die Arbeit ist nicht gerade hervorragend,
aber „dignified“, wie der Professor sagte. Wir bitten Jones um eine
Äußerung, über die Möglichkeit einer eventuellen Übersetzung (ca. 250 Druckseiten).
Endlich kam eine Arbeit von Frau Sokolnicka aus Budapest über die Herren-
hofsage der Lagerlöf, die erst gelesen werden muß.Eine amerikanische Zeitschrift „Dial“ wandte sich durch Ber-
nays in New York an uns, um Auskünfte über die Möglichkeit der Herstellung
(Druck und Papier etc.) in Wien zu erhalten. Wir werden ablehnend antworten,
weil die Anfrage uns keinen seriösen Eindruck macht. In der uns
gesandten Probenummer befindet sich ein Inserat über ein Buch von Freud:
Dream Psychology (vom Autor der „Interpretation of Dreams“ wie es heißt) mit einer
Einleitung von André Tridon, das verheißt, -
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dem Publikum eine leichtfassliche Darstellung der Traumdeutung „mit
des Meisters eigenen Worten“ zu bieten. Es handelt sich bei dem Buche,
von dem der Professor natürlich keine Ahnung hat, offenbar um eine Zu-
sammenstellung aus verschiedenen Arbeiten des Professors über den Traum.
Eine echt amerikanische Traumgeschichte, die Jones einschickte, legen wir
übrigens Ferenczi bei und bitten um Rückleitung via Berlin.Ossipow, der in Moskau ansässig gewesene Psychoanalytiker, schrieb
an den Professor aus Prag, wo er nach abenteuerlichen Irrfahrten nach sei-
ner Flucht aus Moskau jetzt endlich gelandet ist. Er ersucht um Literatur,
die wir ihm beschaffen werden, und der Professor wird ihn auch einladen,
nach Wien zu kommen.Von Mrs. Herford erhielt der Professor einen verworrenen unverstän-
dlichen Brief, worin sie ihn zum Kommen nach England auffordert und die nötigen
Schritte dazu zu unternehmen verspricht. Der Professor denkt aber gar
nicht daran.Die Schweizer Gruppe hat offiziell beim Verlag gegen die Publika-
tion des Groddeckschen Buches als einer schädlichen und pornographischen
Erscheinung protestiert und ersucht, daß die Einfuhr des Buches in die
Schweiz verhindert werden möge. Wir berichten über die von uns ergangene
Antwort. –Der Referent des Lancet hat durch Dr. Clark, das Haupt der hiesi-
gen Society of Friends den Professor aufgefordert, die Authentizität des
„Tagebuches“ zu bestätigen, was der Professor nach Einsichtnahme in die
betreffenden Belege auch getan hat. –An Flügel geht heute gleichzeitig das Protokoll der Sitzung über
die Diplomfrage ab (ebenso das Resultat der Kongreßabstimmung und die
Adressen unserer Sekretäre).Bei dieser Gelegenheit möchten wir bemerken, l. Jones, daß
wir uns zwar über den ausgiebigen Schutz gegen die wilde Laienanalyse
freuen, andererseits aber bedauern, daß der Schutz gegen die wilde Laienana-
lyse der Ärzte darüber vernachlässigt wird. Für uns ist dieser Standpunkt
völlig unannehmbar und wir würden uns ihm nie fügen. Gegen die Analyse
der Laien kann sich das Publikum schließlich und endlich auch selbst schütz-
en, während es vor der ärztlichen Laienanalyse nicht gewarnt werden kann.
Die „Patentierung“ des Namens scheint uns auch nicht das geeignete Mittel,
da ja auch die Jungianer Anspruch darauf erheben könnten, sich „Analytiker“
zu nennen. –Soeben zum Abschluß des Berichtes kommt der Professor und teilt
mir seinen Standpunkt in der Frage des Schweizer Protestes gegen Groddeck
mit. Wir haben es unzweckmäßig gefunden, die Antwort an die Schweizer auf-
zuschieben, bis wir uns mit dem Komitee in Verbindung gesetzt haben, da dies
zu kompliziert und zeitraubend ist und eine sehr verspätete Reaktion auf
die Zuschrift an den Verlag keinen günstigen Eindruck hervorrufen würde.
Wir haben uns daher entschlossen, die Verteidigung unseres Standpunktes und
die Zurückweisung des Schweizerischen auf eigene Verantwortung zu vertre-
ten (im Namen des Professors und in meinem Namen), natürlich in freundschaf-
tlich-höflicher Form und nicht ohne ihnen noch den Weg an die Zentrale (
i.e. für uns das Komitee) offen zu halten. Sollte also ein solcher Schritt
an Dich, l. Jones, erfolgen, so bitten wir Dich, daß Du Dich dann mit dem
Komitee in Verbindung setzt, wobei Du ja den Schweizern ruhig sagen kannst,
daß Du Dich erst beim Verlag informieren willst.ad Berlin tragen wir noch zum vorigen Brief nach, daß wir die
dort ausgesprochene Drohung Abrahams als unmöglich gar nicht in Betracht
gezogen hatten, wir gehen darin mit Ferenczi und Jones völlig einig. -
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ad Budapest: Selbstverständlich sind wir gerne bereit, „deine gesammelten
Arbeiten“, l. Ferenczi, als Buch herauszugeben, und ersuchen Dich hiermit,
uns das Manuskript druckfertig zusammenzustellen (natürlich mit Ausnah-
me der in „Hysterie und Pathoneurose“ erschienenen Artikel); wir möch-
ten Dir jedoch dabei nahelegen, nicht nur alle Veränderungen und event.
Zusätze schon im Manuskript anzubringen (da jede Korrektur jetzt außer-
ordentlich kostspielig ist), sondern auch alle entsprechenden Verweise,
Zitate, Fussnoten etc. von den „Anachronismen“ zu befreien, die in dem neu-
en Rahmen unmöglich wären (z. B. bei Zitaten, wenn es damals in ei-
nem „Zeitschrift“-Artikel hiess: siehe diese Zeitschrift, so muss jetzt
natürlich das entsprechende Kapitel des Werkes eingesetzt werden; oder
wenn Arbeiten inzwischen anderswo leichter aufzufinden sind, wie bei
Prof. „gesammelte Schriften“ etc. etc.). Im ganzen kannst Du Dich vielleicht
in der ganzen Anlage und Einteilung an Abrahams Buch halten, vielleicht
aber die Kapitel besser fortlaufend numerieren. –Der „Steinach“-Fall hat mich (Rank) an zwei hier grassierende Witze
erinnert: 1. Der geheilte Patient bezahlt Prof. Steinach 10.000 Kronen für
die Operation und weitere 10.000 Kronen damit er deren Gelingen nicht
der Frau des Pat. verrate. – 2. Er macht koi = Tierversuche (was allerdings
der Privatwitz eines meiner Patienten ist).ad London: Bezüglich des „Jenseits“ hast Du, l. Jones, den Professor
ganz richtig verstanden: er selbst ist gegen Publikation im Journal, u. z.
weil er es für den englischen Leserkreis zu schwierig hält, der das Jour-
nal liest, überlässt aber Dir die Entscheidung. D. h. wenn Du es trotzdem
in das Journal nehmen wirst, so wird der Professor nichts dagegen sagen. –Bezüglich „Silberer“ sind wir auch der Meinung, dass unnötige Feindselig-
keiten vermieden werden sollten; man kann das Journal ruhig mit ihm tau-
schen. –Alle Deine Nachrichten über die Vorgänge in England interessieren uns
sehr und wir danken für die ausführlichen Berichte.Mit herzlichen Grüssen
[Rank Freud]
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21. Februar 21
Eben beim Schreiben des Rundbriefes kommt der Professor (Sonntag)
zu mir und wir sprechen über mancherlei. Auch über die Arbeit der Sokolnic-
ka, die der Professor zuerst gelesen hat, weil ich dazu momentan keine Zeit
habe; bei mir liegt eine ganze Lade ungelesener Manuskripte, die auf Erledi-
gung warten. –
Der Professor findet darin abgesehen von begreiflichen sprachli-
chen und stilistischen Mängeln, auch zwei prinzipielle Fehler, durch deren
Behebung auch der Umfang des ganzen auf das Normalmaß eines Imagoartikels
gebracht werden könnte. Ehe ich Dir die Einwendungen des Professors mittei-
le, was einer längeren Auseinandersetzung bedürfte, möchte ich prinzipiell
folgendes sagen. –Bei seinem letzten Besuch in Wien erzählte mir Eisler auch von
dem Vortrag der Frau S., der damals gerade gehalten worden war, und meinte,
der letzte Teil, den ich jetzt noch gar nicht habe, sei zu lang und weit-
schweifig, das übrige halte er aber für eine gute Imago-Arbeit. Er machte
sich damals spontan erbötig, falls wir die Arbeit abdrucken wollten, nicht
bloß die sprachlichen und stilistischen Korrekturen vorzunehmen, sondern
auch die inhaltliche Verkürzung des letzten Teiles in unserem Sinne mit der
Verfasserin an Ort und Stelle zu besprechen und durchzuführen.Da nun der Professor die Arbeit in der jetzigen Darstellung nicht
bringen will (an eine Publikation in den Schriften sei nicht zu denken,
meint er), so möchte ich Dich zunächst fragen, ob die Autorin mit einer Um-
arbeitung, die einer Verkürzung gleichkäme, einverstanden wäre, und ob sie
bereit wäre, diese mit Eisler zusammen vorzunehmen, wobei letzterer als
unser Vertrauensmann, den wir über unsere Absicht genau informieren würden, -
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fungierte. Diesen letzteren Vorschlag bitten wir Dich, ihr aber nur dann zu
machen, wenn Du selbst damit einverstanden bist, daß Eisler das macht. Wir
selbst haben wirklich keine Zeit dazu, und es ist ja auch schließlich Sache
des Autors, der sich in einem solchen Falle eines sprachenkundigen Korrektors
bedienen kann. Außerdem glaubten wir aber, daß es mit Rücksicht auf Dein
analytisches Verhältnis zu ihr vielleicht nicht wünschenswert wäre, wenn Du
selbst die nötigen Veränderungen mit ihr durchsprechen würdest. Aber natür-
lich überlassen wir Dir die Entscheidung in der ganzen Angelegenheit sowie
auch in einzelnen Punkten derselben vollkommen. Wir haben uns nur des spon-
tanen seinerzeitigen Vorschlags Eislers erinnert und hielten diese Lösung
auch wirklich für das Beste. –Ich erwarte also Deine Nachricht darüber, an wen ich die Arbeit schicken
lassen soll, resp. wem ich die Informationen betreffend die Umarbeitung geben
soll.
Mit herzlichen Grüßen Dein
[Rank]