-
S.
Wien, am 1. Juli 1922
Liebe Freunde!
Gestern abends ist der Professor nach Gastein abge-
reist (Adr. Villa Wassing bis 30. Juli); diesen Brief habe ich
am letzten Mittwoch noch zusammen mit ihm konzipiert, komme
aber erst heute Samstag dazu, ihn zu schreiben. – Ich selbst
fahre am Freitag, den 7. ds. abends weg (Adr. Seefeld in Tirol
Haus No 87) und gedenke bis in den September hinein dort zu
bleiben. Ich muß mir nach vielen Jahren urlaubsloser Ar-
beit endlich eine ausgiebige Erholung gönnen, die im übri-
gen ja doch nicht so ausführlich ausfallen wird wie sie
sollte, da ich verschiedene Arbeiten zu machen habe und
auch eine Analyse mitnehme. Ferenczi soll am 1. Au-
gust zu uns stoßen und Du, l. Abraham, wirst wie ich mit Vergnügen
ersehe, auch nicht allzuweit von uns sein. Es wäre schön,
wenn sich Gelegenheit zu einer kleinen Gebirgszusammen-
kunft ermöglichen ließe. Bei dieser Gelegenheit möchte
ich auch die Unterkunftsfrage in Berlin mit Dir, l. Abraham,
definitiv besprechen. Wir haben ja eigentlich Eure liebens-
würdige Einladung schon angenommen, nur haben nachher Eitin-
gon und auch Sachs uns persönlich auf die weite Entfernung
Deiner Wohnung von der Stadt aufmerksam gemacht, was wir
natürlich nicht beurteilen konnten. Ich habe also, sowohl
durch Sachs als auch durch Eitingon sagen lassen, daß wir
unter diesen Umständen die Unterbringung in der zweckmä-
ßigsten Weise Euch Berlinern überlassen wollen und würden
uns doch sehr freuen, wenn Dein Urteil, l. Abraham, so ausfal-
len würde, daß wir Eure Einladung annehmen könnten. Soll-
test aber auch Du Bedenken wegen der großen Entfernung haben,
dann bitte sie ungeniert zu äußern; ich brauche Dir wohl
nicht zu versichern, daß wir sie rein sachlich aufnehmen
werden. Sachs, der uns für diesen Fall eingeladen hat, fürch-
ten wir wieder in seiner Junggesellenwirtschaft zu viel
Umstände zu machen, was aber wirklich nur so gemeint ist,
um keineswegs der Befürchtung Ausdruck geben soll, daß
wir es bei Dir, l. Hanns, zu wenig bequem haben könnten.Im übrigen machen sich hier schon deutliche Zeichen
der Urlaubsaison bemerkbar. In der letzten Sitzung, die
bereits vor etwa 2 Wochen war, hat ein ständiger Gast, Herr
Aichhorn, Vorstand eines städtischen Jugendamtes, einen sehr
interessanten Vortrag über die Erziehung in Besserungsan-
stalten (vom analytischen Standpunkt) gehalten, der noch im
Laufe dieses Jahres in „Imago“ erscheinen wird. -
S.
Ich lege jedem Rundbrief ein Inhaltsverzeichnis der zum
Kongreß erscheinenden 3. Nummern der Zeitschriften bei (die
Nummern 2 werden in der nächsten Woche versandt).
Der Verlag, der jetzt hauptsächlich mit Neuauflagen be-
schäftigt ist, bereitet zum Kongreß das Erscheinen der
ersten Bände der „Imago-Bücher“ vor (Bd. 1 Tolstoi von Ossipow,
Bd. 2 „Der eigene und der fremde Gott“ von Reik).
Die beiden ersten englischen Übersetzungen von Werken
des Prof. („Massenpsychologie und Jenseits“) sind eben fertig ge-
worden. Während des Sommers werden auch einige italienisch
Ausgaben in unserem Verlag gedruckt (2. Aufl. d. kl. Traum,
Gradiva, Tagebuch). Ich bleibe ja in ständigem Kontakt mit
dem Professor und mit dem Verlag und werde, wie gesagt, an
jedem Monatsersten berichten (Dringliches natürlich auch in
der Zwischenzeit).In der letzten Vereinssitzung haben wir auch neue strenge
Bestimmungen für die Aufnahme von Mitgliedern und die
Zulassung von Gästen beschlossen, die in der nächsten (2.)
Nummer der Zeitschrift veröffentlicht werden. Sie wurden
vor Eintreffen des Londoner Resumés beschlossen und haben
nachher mit Befriedigung konstatiert, daß sie sich in weit-
gehendem Maße mit den Londoner Vorschlägen decken.
Durch einen Boten ist Herrn Prof. in der letzten Zeit
wieder ein Brief von Wulff aus Moskau zugegangen, der die
Gründung einer russischen Zweigvereinigung und sonstige in-
teressante Details meldet (der Staatsverlag gründet eine
psa. Abteilung etc.). Der Brief geht wegen der Gruppengründung
an Jones. Auf Wulffs Wunsch werden wir auch die psa. Er-
scheinungen seit der Kriegszeit hinschicken.ad Bln.: Wir müssen zugeben, daß wir uns bezgl. der Mitglie-
der geirrt haben. Aber dies ist verzeihlicher, als es aus-
sieht, da 1. ich seit etwa 2 Jahren nicht mehr Sekretär, wenigs-
tens nicht mehr ausübender, der Wiener Gruppe bin, sondern
Reik, wie Du, l. Abraham, aus der Zeitschrift hättest ersehen
können, und mich um den Mitgliederstand eigentlich nicht
mehr zu kümmern habe. 2. ist Marcinowski auch nur nominell
Mitglied, da er seit Jahren keine Beiträge entrichtet
und die Rede von einer Ausschließung war, die wir
gemäß schon durchgeführt gedachten. Ähnlich liegt es mit
Wittenberg, der z. Z. der Wiener Gruppe mitgeteilt hatte, daß
er der Berliner Gruppe beigetreten sei, und als wir ihn re-
daktionell in das Berliner Mitgliederverzeichnis aufnehmen,
von Berlin erfuhren, daß dies nicht richtig sei. Es mag ja
dann später richtig geworden sein, aber ich hatte aus mei-
ner Sekretärszeit noch die Berliner Negierung in Erinnerung.
Dies soll natürlich unsere Irrtümer keineswegs entschuldi-
gen, sondern nur erklären und dabei zeigen, daß es sich
nicht ausschließlich um die von Dir, l. Abraham, supponierte
kritische Einstellung gegen Berlin handelt.In den anderen von Dir ebenso gerügten Fällen können wir
nur Mißverständnisse erblicken und geben mit Dir gerne
der Überzeugung Ausdruck, daß diese wirklich belanglosen
Dinge an unserem guten Einvernehmen nichts ändern können.
-
S.
In der Frage der Kongreß-Diskussion hatten wir zwar ge-
glaubt, daß Du die Gruppen meinst, aber unsere Ansicht ging
– wie wir ganz deutlich sagten – dahin, daß nur der Präsident
allein darüber entscheiden solle und wir haben ersehen,
daß Jones dies auch zustimmend so aufgefaßt hat. – Was
den Hattingbergschen Vortrag betrifft, so war auch diesbe-
züglich unsere Meinung ganz klar ausgesprochen, daß wir ihn am
liebsten ganz ausgeschaltet sähen; wir meinten nur, man würde
ihn schwerer zurückweisen können, wenn er das Verhält-
nis von Arzt und Patient zum Inhalt habe. Deine Bemerkung,
l. A., daß es sich kaum um etwas anderes handeln kann, könn-
te sich nur auf Kenntnis des Inhaltes stützen. Wir würden
also vorschlagen, sich bei H. über den Inhalt des Vortrages
zu informieren. – Was endlich die Weiss’sche Arbeit betrifft,
so haben wir den Eindruck, daß Du in Deiner Kritik wirk-
lich ungerecht bist, um so mehr als Weiss selbst, dem wir
Deinen Vorschlag mitteilten, von einer Publikation in deut-
scher Sprache abriet, da die Arbeit nur direkt für italien-
ische Verhältnisse geschrieben sei. Gegen eine Publikation
anderwärts haben wir natürlich nicht das Geringste einzu-
wenden, ja noch mehr, sie geht uns eigentlich gar nicht nä-
her an und verdiente überhaupt im Rundbrief nicht erwähnt,
geschweige denn zu einer Affaire aufgebauscht zu werden.Unsere Beschäftigung mit diesen unerquicklichen Aus-
einandersetzungen möchten wir aber nicht dahin mißverstan-
den sehen, als handelte es sich uns darum, Recht zu be-
halten, was natürlich ein ganz falsch angebrachter Ehrgeiz
wäre. Wir wollten damit nur dem Wunsche Ausdruck geben, den
von Dir, l. Abraham, vorgeschlagenen „Affektreinigungsapparat“ gege-
benenfalls dem freundschaftlichen Zusammenarbeiten von
uns allen nutzbar zu machen.ad Bdpst (nur Antworten auf Privatkorrespondenz): das
Manuskript von Frau Varró hat vor etwa 2 Wochen Herr Kolnai
im Auftrage der Frau V. bei mir abgeholt. –
Geld hier eingetroffen, Nachrichten aus und über Seefeld
folgen von dort direkt. –ad Ldn.: Mit Rücksicht auf die Urlaubsverhältnisse möch-
ten wir anregen, daß die Gästekarten für die Kongreßteil-
nahme in Berlin selbst ausgegeben werden. Die Wiener Grup-
pe z. B. hat gar nicht die Möglichkeit, den im Sommer über
die ganze Welt verstreuten Gästen die Karten zuzustellen;
ihre Namen haben wir nach Berlin bekanntgegeben und wir
meinen, die Gäste sollten sich ihre Karte vor dem Kongreß
dort selbst beheben. Jedenfalls bitte sich in Vereins-(Sekre-
tärs-) Angelegenheiten den ganzen Sommer über an Dr. Reiks
Wiener Adresse zu wenden.Für Deine Äußerung in der Frage gegnerischer Arbei-
ten danken wir Dir bestens und freuen uns der Übereinstim-
mung. – Bezüglich der portugiesischen Arbeit müssen wir wohl war-
ten, bis sich ein dieser Sprache Kundiger findet, der das
Referat macht.
-
S.
Was Frau Dr. Barkas betrifft, so kann ich sie nur aufs wärm-
ste empfehlen. Sie ist ein selten normaler Mensch – jeden-
falls weit normaler als die meisten Analytiker zu sein
pflegen – und trotzdem für die Analyse begabt, wenn auch
sehr bescheiden in ihrem Auftreten. Auch habe ich von ihr
den Eindruck eines wertvollen Menschen und eines ausge-
zeichneten Charakters empfangen. –ad Komitézusammenkunft: Soweit sich jetzt beurteilen
läßt, werden wir alle, mit Ausnahme von Dir l. Ernest, eini-
ge Tage vor dem Kongreß in Berlin sein oder können es
wenigstens leicht so einrichten. Es wird also nur von Dir
selbst und Deiner Einstellung abhängen, wann wir mit dem
Vorkongreß beginnen. Wir sind jedenfalls dafür, daß wir
auch alle Komitéangelegenheiten – nicht nur die dringenden
Kongreßangelegenheiten – vor dem Kongreß erledigen, da
wir nach dem Kongreß jedenfalls ruhebedürftig sein werden
und auch nur einen Tag Zeit haben. Für nachher dürfte wohl
eine ganz kurze Zusammenkunft genügen. –Mit den besten Ferienwünschen für alle und den herz-
lichsten Grüßen