-
S.
24. X. 10.
PROF. DR. FREUD WIEN, IX. BERGGASSE 19.Lieber Freund
Für die lange Pause haben Sie mich durch einen ungewöhnlichen inhaltsreichen Brief entschädigt. Prosit zur neuen Wohnung! Wie gedeiht der Sohn?
Opp. tut mir leid, ein guter ungeschickter Mensch. Gerade an die Angst muß er sich fixieren, um sich vor einer späteren Generation klarzustellen. Die Psychoanalyse hat wahrlich viele andere Punkte, an denen sie angreifbar ist. Ihre Aufklärungen über seine persönlichen Motive halte ich geheim. An die Bekehrungen glaube ich nicht recht; Aschaffenburg täte mir allerdings damit einen großen persönlichen Gefallen, wenn er sein "Versprechen" vom Amsterdamer Kongreß so nachträglich zur Bedeutung brächte. Friedländer ist ein verlogener Hund, über den es schade ist zu reden. Raimann wird vielleicht dch nächstens eins über die Pfote bekommen, vielleicht aber finde ich, daß es auch nicht der Mühe lohnt.
Nun zu Bleuler. Noch vor Ihrem Brief hatte ich mich entschlossen, mit ihm in Verkehr zu treten. ("Nervenanhang bei ihm zu nehmen") und stehe seither in einem noch laufenden Briefwechsel mit ihm, dessen einzelne Stücke je 8-10 Seiten stark sind. -
S.
Es ist mit ihm, wie Sie sagen. Seine Argumente sind schattenhaft und unfaßbar, alles steckt voll von angeblichen Imponderabilien, und doch scheint er unerschütterlich. Ich habe ihm zugesagt, über Weihnachten nach Zürich zu kommen, wenn er mir irgend eine Chance geben will, die Sache zu schlichten. Den Verein selbst gedenke ich natürlich nicht zu opfern. Die Gründung war zu berechtigt. Übrigens hat er, Bleuler, zuerst den Wunsch nach mündlicher Auseinandersetzung ausgesprochen.
Das Zentralblatt ist gestern hier angelangt. Ich hoffe, es wird sich machen, wenngleich die Schriftleitung noch nicht hinter alle technischen Geheimnisse der Redaktion gekommen sein mag. Für die nächsten Nummern besteht bereits Plethora, sodaß wir notgedrungen warten lassen müssen.
Ich bin in dickster Arbeit und etwas tiefer in die Paranoia eingedrungen auf dem Weg, den Sie betreten haben.
Von dem Fortgang der Sache mit Bleuler werde ich Sie unaufgefordert informieren. Er hat mir angetragen, seine Apologie in der Korrektur zu lesen, um Änderungen vorzuschlagen, die mir genehmer sind, aber ich lehne es natürlich ab.
Mit herzlichem Gruß an Ihr ganzes neues und volles Haus.
Ihr Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
Rankestraße 24
Berlin 10789
Duitsland
C14F25