-
S.
Wien, am 1. Februar 1923
Liebe Freunde!
Der Verlag hat bereits den ersten wirklichen Schritt nach Deutsch-
land getan, indem er das nächste Heft von Imago in Leipzig herstellen
läßt. Für die billige Produktion draußen kommen jetzt tatsächlich immer
mehr all die Faktoren in Betracht, die früher hier die Herstellung relativ
verbilligt hatten und es hat auch den Anschein, als würde diese „Konjunk-
tur“ doch längere Zeit anhalten. Solange der Verlag aber nicht alles drauß-
en drucken kann, also praktisch gesprochen, sich überhaupt ganz draußen
befindet, leidet er unter der ständigen Entwertung der Mark mehr als er
durch die Herstellung gewinnt durch den Verkauf zu den niedrigen deutschen
Preisen. So ist z. B. jetzt, wo die Mark zur Krone nahezu pari steht, die
Schlüsselzahl (d. h. die Entwertungsziffer im Verkaufspreis) hier 5000, in
Deutschland 900, was soviel heißt, daß wir unsere Bücher draußen um den
fünften Teil des Preises verkaufen, der auf Grund der hiesigen Herstellungs-
kosten ermittelt ist. Dieser ständige Verlust ist nur auszugleichen durch
möglichst rasche Verlegung des ganzen Betriebes nach draußen und hätte
teilweise vermieden oder wenigstens verringert werden können, wenn es uns
möglich gewesen wäre, schon im Spätherbst, als wir die Situation geahnt hat-
ten, hinauszugehen. Leider haben uns die Verhältnisse in einer ungeahnten
Weise Recht gegeben. –Die Press wird nach Hillers Ansicht programmgemäß bis Ende März hier
alles abgewickelt haben, auch die definitive Abrechnung mit dem Verlag, an
der jetzt gearbeitet wird.Zur Information über die Moskauer Gruppe erwähnen wir, daß der
Professor kürzlich zwei von Mitte Dezember datierte Briefe aus Moskau, ei-
nen von Ermakow und einen von Wulff, erhalten hat, aus denen übereinstimmend
hervorgeht, daß die dortige Gruppe einer medizinischen und einer päda-
gogischen Sektion besteht; die letzte leitet Schatzky, einer der angesehend-
sten Pädagogen in Rußland sein soll. Die mediz. Gruppe, die aus jungen Ärz-
ten und Studenten der psychiatrischen Klinik besteht, leitet Wulff. Er be-
richtet, daß ganz ernsthaft gearbeitet wird und daß sich einige von den
Schülern auch zu didaktischen Zwecken analysieren lassen. Wulff selbst dürf-
te in nächster Zeit eine ihm angebotene Stelle als Assistent an der 2. Med.
Klinik in Moskau annehmen. Weiters berichtet er, daß am 10.–14. Jänner in
Moskau ein psycho-neurologischer Kongreß stattfindet und ladet den Prof.
zur Teilnahme ein. Interessant für die Verbreitung der Psa in Rußland ist
die Tatsache, daß der 1. Band der Vorlesungen in einer Aufl. von 2000 Expl.
in einem Monat ausverkauft wurde; eine zweite Auflage ist im Druck. Der II.
Band soll bereits erschienen sein (ist jedoch noch nicht hier eingelangt).
Außerdem erscheint in Kürze ein dicker Band gesam. Kl. Schriften (meist aus
der IV. Folge), ferner ein Band zur Methodik und Technik der Psa. Endlich
arbeitet Dr. W. an der Übersetzung von Totem und Tabu.
-
S.
All das scheint dafür zu sprechen, daß in Moskau zumindest ernsthaft gear-
beitet wird und für uns wohl kein Grund besteht, dieser Gruppe die Aufnahme
zu verweigern.Was Dr. Eder betrifft, so meint der Prof., daß man die Frage seiner Aufnahme
vom Ausgang seiner Analyse abhängig machen solle.Einer Nachricht der Genfer (inoffiziellen) Gruppe an den Prof. zufolge
scheint es Frau Dr. Spielrein, die erst vor kurzem aus der Wiener in die Schwei-
zer Gruppe übergetreten ist, unmöglich zu sein, sich länger in Genf zu erhal-
ten, da das Institut „J. J. Rousseau“ nicht über die Mittel verfügen soll, um ihr
für ihre dortige Tätigkeit ein entsprechendes Honorar zu bezahlen. Die Gen-
fer Gruppe erklärt sich bereit, Frau S. durch Aufbringen einer Summe in den
Stand zu setzen, sich anderwärts eine neue Stellung zu gründen, wobei sie na-
türlich an ein Land mit niederer Valuta denken und den Prof. fragen [soll], welchen
Ort er event. für geeignet hält. Nun sind die Verhältnisse in Wien für die
Analytiker jetzt höchst ungünstig, abgesehen davon, daß die Lebensführung hier
kaum billiger als in der Schweiz ist (Weltparität), während augenblicklich
wenigstens Berlin nach beiden Richtungen ein günstigerer Boden zu sein scheint.
Doch würden wir darüber gerne das Urteil der Berliner Freunde hören, insbes.
ob event. die Poliklinik Frau Dr. S. irgendwie beschäftigen könnte.Die Wiener Poliklinik hat jetzt wieder Schwierigkeiten mit den Behörden
und mußte vorläufig die Aufnahme neuer Pat. sistieren.Von Manuskripten ist zu erwähnen, daß der Prof. die Lektüre der im letz-
ten Brief angekündigten Arbeit von Runge beendet hat. Die Arbeit ist intelli-
gent, jedoch halb wissenschaftl., halb populär, enthält ein paar schöne Stellen,
ist aber doch etwas mystisch orientiert. Dies zur Information, da der Mann sich
mit einer Empfehlung von Groddeck nach Berlin wenden will, um Psa zum Zweck
von pädagog. Analysen zu lernen.Varendonck hat vor längerer Zeit eine neue Arbeit zur Ästhetik der
Symbole eingereicht. Der Prof. läßt Dich, l. Sándor fragen, ob Du event. bereit
wärest, ihm die Lektüre des französischen Manuskriptes (Maschinenschrift) abzu-
nehmen und Dein Urteil abzugeben, ob der Verlag das Buch publizieren soll.
(N. B.: „Das Ich und Es“ existiert noch nicht in Form von Korrekturen.)Dr. Schuster (Berlin), ein Schüler Blochs, sandte eine Broschüre über die
Algolagnie, die ganz analytisch gehalten ist. Es scheinen doch einzelne Elemen-
te in der Ges. f. Sex. Wiss. unseren Gesichtspunkten zugänglich zu sein.ad Berlin: Die Korr.-Blatt-Berichte, die in der Übergangszeit noch hier
einlaufen sollten, werden Dir, l. Karl, immer gleich zugehen (einer von der Schweiz
geht dieser Tage an Dich ab, wegen des Englischen, den ich nie bekomme, sagte ich
Hiller). Was Dr. Bychowsky betrifft, so sehen wir keinen Grund, ihn abzuweisen,
hoffen vielmehr, daß eine strenge Zucht ihm nützlich sein wird. Dir, l. Hans,
gratulieren wir zur Wohnungssache! – Dich, l. Max, hoffen wir neu gestärkt und er-
holt wieder an Deinem Platze!ad London: Wir hoffen, daß die gegenseitige materielle Unabhängigkeit
von Verlag und Press uns das persönliche Zusammenarbeiten wesentlich erleich-
tern wird und glauben nicht erst versichern zu müssen, daß unsererseits alles
in dieser Richtung geschehen wird. Ein vor wenigen Tagen von Hiller angekündig-
tes Memorandum Rickmans ist bis jetzt hier nicht eingelangt.Mit herzlichen Grüßen
[Freud/Rank]