• S.

    Wien, am 28. Februar 1923

    Liebe Freunde!

    Vom Verlag gibt es wieder verschiedene Neuigkeiten zu berichten.
    Vor allem, daß im Monat März außer den beiden ersten Zeitschriften-Heften
    noch einige Bücher erscheinen, und zwar in der Imago-Bücherei „Tolstois Jugenderin-
    nerungen“ von Ossipow, sowie „Der eigene und der fremde Gott“ von Reik. Ferner 
    Groddecks „Buch vom Es“, eine polnische Übersetzung des kl. Traumes und eine 
    italienische der „Gradiva“. Die beiden ersten Zeitschriften-Nummern enthalten jede eine 
    Arbeit des Professors, und zwar in der Zeitschrift „Bemerkungen zur Theorie und Praxis der 
    Traumdeutung“, Imago „Eine Teufelsaustreibung aus dem 17. Jahrhundert“. Über das wei-
    tere Programm des Verlages in der nächsten Zeit sind wir uns insofern noch 
    nicht im Klaren, als es uns vorläufig an Geld fehlt, um einige Neuauflagen, 
    die nötig wären, herzustellen. Die einzig neue Publikation, die jetzt angefangen 
    wurde, ist „Das Ich und das Es“. Um so mehr waren wir aber bemüht, für bessere 
    Zeiten in der Zukunft vorzusorgen und dem Verlag ein weiteres Feld für seine 
    Ausgestaltung zu sichern. Der Verlag steht vor dem Abschluß eines Vertrages 
    mit Deuticke, der uns sowohl das Recht für eine Gesamtausgabe der Werke des 
    Professors – gegen Zahlung einer entsprechenden Entschädigung – sichert, als 
    auch ein Vorrecht auf alle Übersetzungsrechte soweit sie noch nicht vergeben 
    sind (damit erledigt sich auch die Frage der Erwerbung der ungarischen Rechte, 
    z. B. für den Witz etc.). Diese wesentliche Erweiterung unserer Verlagsinteressen 
    für eine fernere Zukunft muß uns z. T. für die unbefriedigende Gegenwart ent-
    schädigen, an der die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse die Hauptschuld 
    tragen.

    Sonst ist von hier nur ein Besuch des Grafen Keyserling beim Professor
    zu berichten, zu dem der Professor auch mich eingeladen hatte. Nach den Zeitungs-
    berichten über die Vorträge, die K. hier gehalten hatte und nach dem, was wir von 
    seinen Schriften wußten, waren wir nicht besonders enttäuscht, auch seinen philo-
    sophischen Gesprächen und Gedanken nicht ganz folgen zu können. Interessanter 
    war der persönliche Eindruck, den der Prof. von K. hatte und der ihm der eines 
    russischen Typus zu sein schien (K. ist Balte) mit deutlichen Anklängen in Ge-
    sicht und Schädelbildung an Dostojewski. Sein Verhältnis zur Analyse ist uns 
    unklar geblieben – er vermeidet es auch offensichtlich über seine „Schule“ zu 
    sprechen – doch scheint es, daß K. als Relativist mehr zu Jungschen Ideen neigt 
    (so sprach er auch von „Typen“ etc.).

    Von der Redaktion des „L’Encéphale“ kam an den Professor das Ersuchen,
    seine Photographie zur Reproduktion zur Verfügung zu stellen, da die Zeitschrift 
    beabsichtige, ihre Leser über die Psychoanalyse und ihren Schöpfer zu informieren; gleich-
    zeitig stellte die Redaktion das Ansinnen, mit unseren deutschen Zeitschriften in 
    Tauschverkehr zu treten.

  • S.

    Miss Garley, die jetzt wieder in Wien ist, hat durch Frau Dr. Hug eine
    kleine Arbeit über den Geburts-Schock eingesandt, die sehr hübsch und rich-
    tig auf die Bedeutung der Geburtseindrücke für späteres neurotisches Ver-
    halten verweist. Ich möchte ihr vorschlagen, nach Streichung einiger über-
    triebener – wenn auch im Grunde richtiger – Bemerkungen, die kleine Mittei-
    lung in der Zeitschrift zu veröffentlichen.

    ad Berlin: Die Korr.-Blatt-Angelegenheit ist inzwischen – d. h. mit dem 
    letzten Berliner Brief – von hier aus erledigt worden. Wir erwarten jetzt nur die 
    Einsendungen der Manuskripte. Hier sind inzwischen nur zwei Nachträge dazu ein-
    gegangen: 1. ist Dr. Schuurman aus der holländischen Gruppe ausgetreten; 2. ist zum 
    Kustor der Schweizer Gruppe nicht Dr. Furrer (Zürich), sondern Dr. Blum (Bern), 
    Optingenstraße 8, ernannt worden.

    ad Budapest: Auch wir sprechen Dir, l. Sándor, persönlich unser aufrichti-
    ges Beileid zu dem schweren Verlust aus, den Du und die Gruppe durch den 
    unerwarteten Tod der Frau Radó erlitten habt. Die Wiener Gruppe wird ein 
    offizielles Beileidsschreiben an die Budapester bereits vor einiger Zeit ge-
    sandt haben.

    Wie bereits erwähnt hat der Verlag von Deuticke die Übersetzungs-
    rechte aller Werke des Professors, soweit sie noch frei sind, erworben. Dazu
    gehört also auch der Witz, über den wir jetzt verfügen. Bei dieser Gelegenheit 
    versicherte mir D. nochmals, daß von seiner Seite aus, die ungarischen Übersetzungs-
    rechte der Traumdeutung noch frei seien, da Dick bis zum heutigen Tage nicht 
    zahlt und auf eine letzte Urgenz von D. nicht geantwortet hatte. 
    Es wäre bei Überlassung des Vertrages wichtig, wie Du, l. Sándor, 
    Dich zu der ganzen Sache stellst.

    Das Manuskript von Varendonck ist dieser Tage eingeschrieben an Dich
    abgegangen; bitte um Bestätigung des Empfangs und Mitteilung, in wel-
    cher Zeit Du ungefähr in der Lage sein dürftest, ein Urteil darüber ab-
    zugeben.

    ad London: Die Angelegenheit Press-Verlag ist jetzt wieder außer-
    halb des Rundbriefes Gegenstand von Detailerörterungen zwischen Ernest und
    mir (Rank) geworden. Ich kann nur die Hoffnung aussprechen, daß wir recht 
    bald in den noch schwebenden Punkten zu einer Einigung gelangen werden.

    Ad Berlin habe ich im ersten Schreck über die drohende neue Spra-
    che und in Unkenntnis des chinesischen Urheberrechts vergessen, unserer
    eigenen Überraschung über die Nachricht Ausdruck zu geben. Wir sind neu-
    gierig, mehr von den chinesischen Interessenten zu erfahren. Der Prof. hat aller-
    dings die Befürchtung, daß die Psychoanalyse in der chinesischen Übersetzung 
    noch schwerer zu verstehen sein wird.

    Mit herzlichen Grüßen
    [Freud / Rank]