• S.

    Wien, 21. Oktober 1921

    Liebe Freunde!

    Der Verlag übersiedelt diese Woche in ein provisorisch 
    gemietetes Lokal (I. Fleischmarkt 1), wo wir leider so beengt sind, daß 
    wir unsere Bemühungen um ein eigenes Lokal intensiv fortsetzen müssen. 
    In diesem Monat erscheinen noch die beiden 3-ten Hefte unserer Zeitschrif-
    ten. Im allgemeinen geht der Absatz unserer Bücher sehr gut und wir werden 
    bis Jahresende noch eine Anzahl Neuerscheinungen und Neuauflagen heraus-
    bringen. In der englischen Library ist jetzt der 3. Band: Flügel, 
    The History of the Family, erschienen und auch das Journal wird 
    wohl bis Ende das Jahres den 2-ten Band abschließen können.

    Von Manuskripten bestätige ich zunächst den Empfang 
    der Tic-Diskussion, die ich bereits mit Ferenczis Beitrag zurückerhalten 
    habe, so daß sie noch in die schon im Druck befindliche Nummer aufgenom-
    men werden können. Leider fehlt mir dazu noch das Kursprogramm 
    der Poliklinik. Ferner war noch vor Sommer ein Manuskript des d. Z. in 
    Göttingen lebenden Dr. Nachmansohn hier, worin er die Neuheit mitteilt, 
    daß die Homosexualität die Flucht vor dem Ödipuskomplex sei, den er 
    aber um der Sache einen Anstrich von Originalität zu geben, als 
    Inzestscheu umschreibt.

    Von Übersetzungen [ist] zu berichten, daß die Massenpsy-
    chologie von einem holländischen Verlag erworben wurde, und daß Ferenczi 
    im Ver- ein mit unserem Budapester juristischen Mitglied, Dr. Dukes sich be-
    müht, die ungarischen Übersetzungsrechte der Werke des Professors zu 
    schützen.

    Die erste Vereinssitzung brachte uns einen Gastvortrag des 
    Heidelberger Psychiaters Prinzhorn über Zeichnungen der Geisteskranken, 
    der sehr interessantes Material, aber keine analytischen Gesichtspunkte 
    brachte. Der Abend war bemerkenswert, durch eine große Anzahl von Gästen, 
    hauptsächlich solchen Ausländern, die hier zur analytischen Ausbildung 
    beim Professor sind. Eine Anzahl von ihnen hat den Wunsch geäußert, Kurse 
    über einzelne Kapitel der Analyse von den Mitgliedern zu hören, die wir 
    jetzt arrangieren wollen. Es werden dabei auch Wünsche laut, Abraham, 
    Ferenczi und vielleicht [den] einen oder anderen Vortragenden 
    (Róheim) zu einem oder 2 Vorträgen herzubekommen, wobei selbstverständ-
    lich außer dem entsprechenden Honorar auch alle Reisekosten getragen 
    werden.

  • S.

    Literatur: Von Sadger ist eine große Psychopathia sexualis auf psa. 
    Grundlage bei Deuticke erschienen, die im Ton auffällig gemäßigt gehal- 
    ten und sachlich einwandfrei ist; vielleicht würde Ferenczi das Referat 
    übernehmen, event. Eisler damit beauftragen. Von Bleuler erschienen 
    außer seinem schon erwähnten Buch 2 lesenswerte Arbeiten über Unbew. 
    psychisches Geschehen (Z. Ges. Neurol. Bd. 64) und Über psychische Gelegen-
    heitsapparate und Abreagiere (Z. f. Psychiatrie, Bd. 76, Heft 5/6).

    ad Bln Wir freuen uns über die guten Nachrichten, insbesondere 
    daß literarische Hilfskräfte bereits mobilisiert sind. Was Liebermann an-
    betrifft, so wundern wir uns eigentlich, daß die Sache nicht schon erle-
    digt ist wie wir dachten, andererseits hätten wir es gerne gesehen, wenn 
    ein anderer als gerade Eitingon, der ohnehin mit Arbeit überlastet ist, 
    das Amt definitiv übernähme.

    ad Bdpst In Angelegenheit der ungarischen Rechte schreiben wir 
    direkt an Dr. Dukes. Das ungarische Tagebuch-Fragment ist, wie wir jetzt 
    nach seiner Lektüre sehen, nicht so leicht unterzubringen, da es als 
    Buch nicht nur zu klein, sondern auch zu fragmentarisch ist und als Zeit-
    schriftenartikel nicht paßt. Vielleicht taucht in unserem Kreis eine Idee 
    zur Verwendung auf, für die wir dann sehr dankbar wären. Was macht eigent-
    lich Róheims großes Buch?

    Deine Theorie, lieber Ferenczi, ist ein sehr geistreicher Einfall, der 
    natürlich erst ausgearbeitet werden müßte. Es scheint nur, daß mit der Idee
     die Stellung der Symptome zum Ich nicht verständig wird, d. h. es bleibt die 
    Frage offen, warum diese partielle Einverleibung Symptome macht. Was die 
    Epilepsie anbelangt, so handelte es sich ja in Deiner Mitteilung an uns 
    um reine Spekulation, die vorläufig doch lieber zurückbehalten werden sollte. 
    Wenn Radó jedoch Material dazu hat, so kann ja dieses zunächst unabhängig 
    davon veröffentlicht und mit einem Hinweis auf Deine Idee versehen werden.

    Beiliegenden sonderbaren Brief schickt Dir der Professor, um womöglich 
    Auskunft über den Schreiber zu erhalten. (Brief zurückerbeten)

    Ad London Wir hoffen, lieber Ernest, daß Deine Übersiedlung 
    bereits vollzogen ist und wünschen Dir Glück für Dein neues Heim.
    Durch die Übersiedlung des Büros habe ich Hiller längere Zeit nicht 
    gesehen, bin also nicht genau informiert, doch hoffe ich, daß jetzt bald 
    alles rascher gehen wird, da wir endlich eine passende Sekretärin für 
    ihn gefunden haben, die ihm vieles abnehmen kann. Wie weit ist die eng. 
    Massenpsychologie durchgesehen? Dann möchten wir unsere Anfrage wegen 
    des endgiltigen Programms der Übersetzung der kl. Schriften wiederholen, 
    insbesondere damit wir wissen, welche Arbeiten noch zur Übersetzung frei 
    sind. Inliegend ein Ausschnitt, der zeigt, daß der Wahn und die Träume jetzt 
    auch in England erschienen sind, nach der unberechtigten Übersetzung, 
    die Stanley Hall in Amerika veranstaltet hatte. Vielleicht kannst Du, l. 
    Ernest erfahren, von wem Allen & Unwin die Rechte erworben hat?

    Zum Schluß noch zu ganz vertraulichem Gebrauch eine Bemerkung des 
    Professors zur Charakteristik der Amerikaner, die er jetzt in der Analyse 
    kennenlernt: Sie sind alle analytisch sehr mäßig gebildet und stehen auch als 
    Persönlichkeiten nicht über den Durchschnitt. Am ehesten erwartet der 
    Professor etwas von Blumgart, während er von Oberndorf, der auch persön-
    lich kein sehr angenehmer Mensch ist, enttäuscht blieb. 
    An Brill wird der Professor jetzt wieder schreiben.

    Mit herzlichen Grüßen

    [Rank Freud]