S.
Wien 8 am 25. November 1920
Wie bestätigen den Empfang von Berlin und London No. 72, Budapest No. 73 ist leider infolge der bedauernswerten Erkrankung von Ferenczi ausgeblieben. Auch wir, lieber Ferenczi, möchten gerne Näheres wissen und öfter hören, wie es Dir geht? Hoffentlich bist Du bald so wohl, daß Du ein bißchen ganz ausspannen und vielleicht einen »Rutscher« nach Wien machen kannst? Das wäre doch sehr schön!
Was die Frage der Brieftage betrifft, so ist gegen Jones Vorschlag daß alle die Briefe sagen wir am Montag abschicken, nichts einzuwenden, falls auch Berlin sich diesem Vorschlag anschließen sollte; bis dahin schreiben wir wie bisher.
ad London: Prof. bittet Jones, gelegentlich an Stanley Hall die Nachricht weiterzugeben, daß der Professor schon seit mehreren Jahren vor dem Kriege (und natürlich auch während des Krieges) keinen Brief von Hall bekommen hat. –
Den Vorschlag von Jones, das englische Journal den Bibliotheken der Gruppen vom Verlag aus zu schicken, akzeptieren wir gerne (die Poli- klinik (Berlin) und Budapest erhalten es ohnehin schon). Der Prof. ist auch bereit, von seinen neuerschienenen Büchern je eines den Vereins- bibliotheken zu spenden.
Strömme ist uns insofern bekannt, als er sich vor vielen Jahren (schon vor dem Kriege) an den Professor wandte und um Überlassung von Lite- ratur (Bücher und Arbeiten des Prof.) ersuchte, die ihm damals auch ge- schickt wurden. Dann ließ er lange Zeit nichts mehr von sich hören – vermutlich war er damals bei Jung – bis er plötzlich zu Beginn des Krie- ges eine Arbeit über Psa. einschickte, die aber ganz Jungisch war. Diese Arbeit blieb bis nach dem Krieg in unserer Redaktion liegen, dann schickten wir sie als unbrauchbar für uns zurück. Gehört haben wir wei- ter von Strömme nichts. –
Anläßlich des Todes Flournoys hatte der Prof. Gelegenheit, der Familie privat zu kondolieren. – Pfister sandte uns gestern einen Zeitungsaus- schnitt mit einem Nachruf auf F. mit Würdigung seiner Bedeutung für die Psa. Wir ersuchten ihn um einen kurzen entsprechenden Nachruf4 für die Zeitschrift, der eventuell auch im Journal erscheinen könnte. –
ad Berlin: Wir bedauern es sehr, daß unsere Meinungsäußerungen zu ir- gend einer Sache manchmal ohne jeden Grund gleich als Parteinahme aufgefaßt werden (wie z. B. auch in der Brunswick-Angelegenheit). So war es auch mit Frost und Pietsch. Als wir von diesen beiden Fällen aus dem Rundbrief von Jones erfuhren, meinten wir nur, daß man unserer Ansicht nach diese Außenseiter nicht so behandeln sollte, wie es nach der Urgenz von Jones der Fall schien. Wir knüpften dann nur daran die Bemerkung, daß wir Liebermanns Sekretärtätigkeit auch uns gegenüber zu bemängeln hatten, welche Beschwerde immer noch aufrecht bleibt, auch wenn sich in den beiden anderen, von Jones bemängelten Fällen, seine Unschuld herausgestellt hat.5 -
Was meine Ungeduld betrifft, an der ich tatsächlich als Geburtsfehler leide, so gebe ich diese ebenso zu wie meine Überarbeitung. Trotzdem war meine Urgenz im Falle Kolnai-Übersetzung kein Ausdruck dieser meiner Ungeduld, sondern im Gegenteil einer großen Geduld. Indem ich nahezu drei Wochen wartete, bis ich anfragte; und auch da entsprang meine Frage nicht einer quasi-goetheschen »Lust am urgieren«6 – was mir immer nur Arbeit macht – sondern rein praktischen Gründen: ich hatte nämlich das Buch wie alle deutschen Publikationen, nach London geschickt und erhielt nun weder von dort noch Berlin Nachricht, so daß ich besorgt wurde, es könnte am Ende vielleicht eine Doppelübersetzung gemacht werden. Da ich aber auch auf meine erste Urgenz von Abraham keine Antwort erhielt, schrieb ich ein weiteres mal im Rundbrief. Nach der jetzigen Aufklärung muß ich natürlich annehmen, daß eine bezügli- che Nachricht von Dir, lieber Abraham, in Verlust geraten ist, denn die einzige Nachricht in der Angelegenheit Kolnai die ich überhaupt von Dir erhielt, war eben die in der Antwort auf meine Rundbrief-Urgenz. Wie richtig übrigens meine Besorgnis war, geht daraus hervor, daß ich dann plötzlich Nachricht erhielt, in London sei die erste Hälfte des Kol- nai-Buches bereits übersetzt, wovon ich keine Ahnung hatte!
Da wir nach der Diagnose von Abraham alle ein bißchen analerotisch sind, wäre es nicht unmöglich, daß wir auch alle ein bißchen überarbeitet und überreizt sind und ich schlage vor, bei unserer nächsten Zusammen- kunft ein Friedensmahl zu veranstalten, bei dem einer der Urheber unse- rer Diskussion in der Form von »Peaches« verspeist werden soll; aller- dings muß ich gestehen, daß diese erst durch ihre Kombination mit
»Melba« zu meiner Lieblingsspeise werden. (Ob der Professor dies auch
»unterschreiben« kann, weiß ich allerdings während des Tippens noch nicht.)
Die angekündigte Bestellung Abrahams auf Bücher für die Kursteilneh- mer bringt mich auf die Idee, in der Poliklinik ein kleines, aber ständig auf dem Laufenden erhaltenes Bücherlager psa. Literatur zu unterhalten, dessen Überwachung vielleicht Sachs so liebenswürdig sein würde zu übernehmen. In der nächsten Woche werden der Poliklinik jedenfalls ei- ne größere Anzahl unserer Verlagsprospekte zugehen, die dort aufliegen könnten. Zu diesem Vorschlag erbitten wir die Äußerungen des gesam- ten Triumvirats!
Von uns selbst ist diesmal nicht viel zu berichten: Kolnai7 ist bereits im Buchhandel, die 7. Aufl. der Psychopathologie8, das Buch von Pfister9, Jenseits des Lustprinzips10 und das 4. Heft der Zeitschrift11 sind unter- wegs und werden sehr bald versandt werden können. –
Im Anschluß an unseren letzten Vorschlag (wegen ungar. Traumdeu- tung) machen wir Ferenczi den weiteren Vorschlag, auch seine Bücher jetzt schon mit ihren Neuauflagen in unserem Verlag zu übernehmen, ohne Rücksicht darauf, ob die Sache mit Kola zustande kommt oder nicht. Von Neujahr angefangen sind wir bereit, sofort mit dem Satz die- ser Werke zu beginnen und bitten Dich, l. Ferenczi, bis dahin vorzube- reiten, was Dir möglich ist. – Auch die Übersetzung des Tagebuches bit- te zu beschleunigen. –
Die ergänzende Literatur an die einzelnen Jahresbericht-Ref., sowie an die angegebenen Referenten habe ich Sonntag mit den entsprechenden Begleitbriefen abgeschickt und als Termin Ende des Jahres angegeben. Die seinerzeit beschlossenen Monatsbriefe an die Vereinigungen Schweiz und Holland schicke ich morgen zum erstenmal ab und bitte Jo- nes seinerseits auch die entsprechenden die Vereinsangelegenheiten betreffenden Brief zu verschicken. –
Die Berliner möchten wir daran erinnern, daß wir Wert darauf legen würden, über die Tätigkeit der Poliklinik einen Jahresbericht zu veröf- fentlichen, sei es in Broschürenform (als Beiheft zur Zeitschrift) oder zumindest im Rahmen der Zeitschrift. Dieser Bericht wäre natürlich erst nach Ablauf des ersten Arbeitsjahres möglich.12
Endlich möchten wir nicht versäumen zu bemerken, wie wohltuend in den Rundbriefen hie und da eine wissenschaftliche Bemerkung wirkt und der Hoffnung Ausdruck geben, daß diese einen immer breiteren Raum in unserer Korrespondenz einnehmen werden. –
Wir werden – vielleicht ab Neujahr – in dieser Richtung insofern einen Schritt tun, als wir regelmäßig die Einläufe an Manuskripten für Redak- tion und Verlag, mit eventuellen Bemerkungen dazu, anzeigen werden. Ebenso hoffen wir bis dahin so weit zu sein, um regelmäßig dem Wo- chenbericht auch eine Liste sowohl der neuerschienenen deutschen Bü- cher auf unserem Gebiet als auch besonders eine Liste der zur Bespre- chung eingegangenen Werke vorzulegen.
Mit herzlichen Grüßen
Rank Freud