• S.

     Prof. Dr. Freud                           
    Wien, IX. Berggasse 19.

    22.X.09

    Lieber Freund

    Ich schreibe Ihnen eilig, weil ich anders nicht 
    könnte. Die Ausnützung ist eine ganz amer-
    ikanische; ich habe kaum Zeit zum Leben, ge-
    schweige zur Arbeit. Zum Überfluß hat mich 
    Stanley Hall in einem wirklich liebens-
    würdigen Brief an mein Versprechen der 
    fünf Vorträge gemahnt Von diesen steht nun 
    wirklich eine halbe Seite fertig da.

    Die Zulaufpraxis bleibt hinter der regulären 
    noch sehr zurück, so daß ich noch kaum etwas 
    verteilen konnte. Die Pat. sind ekelhaft 
    u geben mir Gelegenheit zu neuen technischen 
    Studien. Eitingon ist hier, geht zweimal in 
    der Woche mit mir nach dem Nachtmal spaziren 
    u läßt sich dabei analysieren. Er erweist sich 
    da u in den Mittwochdiskussionen als sehr 
    intelligent u sattelfest. Meiner Tochter
    geht es ohne Operation weit besser, noch 
    nicht entscheidend gut.

    Ihren ersten Seidler Brief schicke ich Ihnen heute 
    zurück. Ich finde, Sie haben zuviel Proben 
    auf einmal für die Arme vorbereitet 
    so daß die späteren nichts Deutlicheres er-
    geben dürften. Die Meinung, daß sie mit 
    den Augen liest wie Sie u ich, ist nicht 
    auf theoretische Erwägungen, sondern auf den 
    Augenschein im Sachverhalt gegründet.

  • S.

    Dieser Punkt wird am ehesten experimentell 
    zu entscheiden sein.

    Zu Ihrem Traumvortrag gratulire ich Ihnen. 
    Schreiben Sie ihn nur deutsch nieder; wir 
    werden trachten ihn unterzubringen. Halten 
    Sie ihn für ungeeignet für eine englische 
    ie amerikan. Zeitung? Dort dürfte er doch 
    ganz neu wirken. Übersetzg wäre leicht 
    zu erreichen. Ihr Pat. war wie Sie wissen 
    werden, nicht bei mir.

    Von Jung erfuhr ich, daß Friedländer zucker-
    süß u schweifwedelnd bei ihm war! Das ist 
    ein gemeines Subjekt! Auf weitere Nachrichten 
    bin ich sehr gespannt.

    Eine kleine Entdeckg der letzten Tage hat mich 
    mehr erfreut, als zwölf Artikel von Aschaffenbg 
    könnten. Ein Philologe Abel hat im J. 1884 
    eine Schrift veröffentlicht: Der Gegensinn der 
    Urworte, die nicht mehr u nicht weniger be-
    hauptet, als daß in vielen Sprachen, altägyptisch
    Sanskrit, arabisch, aber noch im Lateinischen 
    Gegensätze mit demselben Wort bezeichnet 
    werden. Sie erraten leicht, welches Stück 
    unser Ermittlungen über das Ubw dadurch 
    bestätigt wird. Ich habe mich lange nicht 
    so siegreich gefühlt.

    Auch mit Leonardo da Vinci gebe ich mich ab.

    Mit herzlichem Gruß 
    Ihr Freud