• S.

                                                            26.XII.11

    Prof. Dr. Freud                           Wien, IX. Berggasse 19.

     

    Lieber Freund

    Vielleicht wundern Sie sich, daß ich gerade unter diesen Verhältnissen nicht mehr und öfter schreibe. Aber es ist Absicht; ich habe nichts mehr zu sagen, habe vielleicht mehr gesagt, als zu rechtfertigen war, und will es mir mit Ihrer Zukunft nicht ganz verderben. Ich gratuliere dann aus vollem Herzen, wenn Sie mich wissen lassen, daß die Zeit gekommen ist.

         Ein Gutes kann ich Ihrem voraussichtlichen Entschluß nicht bestreiten. Sie bleiben so in Beziehung zu Frau G., die Sie sonst verloren hätten.

         Frau G. selbst bitte ich Sie ‑ der Brief müßte doch durch Ihre Hand gehen ‑ für ihr zweites Schreiben intensiv zu danken, sie um Verzeihung zu bitten für alles Graue und Schwarze, das ich glaubte, ihr sagen zu müssen, und ihr ganz besonderen Dank auszusprechen für die Aufnahme, die sie Ernst bereitet hat. Aus demselben Grund bin ich Ihnen neuerdings verpflichtet. Es hat dem Jungen sehr behagt.

     

         Ich schreibe in diesen Tagen ohne rechte Stimmung: Über neurotische Erkrankungstypen (Zentralblatt)1, Über die allgemeinste Erniedrigung etc. (Jahrbuch)2.

                                                       Herzlichst Ihr

                                                                Freud

     

         1    >Über neurotische Erkrankungstypen< (Freud 1912c), erschienen im Zentralblatt (1911-12, 2: S. 297-302).

         2    >Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens< (>Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens< II.) (Freud 1912d), erschienen im Jahrbuch (1912-13, 4: S. 40-50).