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S.
5.1.13
Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19.
Lieber Freund
Ich freue mich, daß es Ihnen gut geht, jetzt, wo wir Sie so dringend brauchen. Ich schlage Ihnen vor, Ihre Hieherkunft zu verschieben, bis auch Jones da ist, da eine Reise für Sie nicht unbedenklich scheint. Er soll am 9. kommen.
Ich teile Ihnen mit, daß ich einige gute, höfliche, aber unzweideutige Sätze gefunden habe, um den privaten Verkehr mit Jung einzustellen.[1] Der Brief ging vorgestern ab. (Der Ihnen eingesandte ist bekanntlich nicht abgeschickt worden.) Er hat heute wieder geschrieben[2], aber ich brauche nicht mehr zu antworten. Sein Benehmen ist neurotisch‑bübisch. Wenn er in meiner Behandlung wäre und dafür zahlte, müßte ich mich natürlich mit seinen Äußerungen abgeben, aber so kann ich es mir ersparen und meine Kraft auf anderes verwenden.
Die Irrtümer der Züricher halte ich für nicht redressierbar und glaube, daß wir in 2 ‑ 3 Jahren einander als zwei ganz verschiedene Richtungen nicht verstehen werden. Man braucht also auch die Polemik nicht auf Überzeugung der Gegner einzurichten, sondern kann von überlegener Warte her kühl‑höflich kritisieren. Unterdes soll der Same der -A weitergetragen werden, das war die Funktion von Zürich. Von den Neuangeworbenen wird ein Teil immer wieder zu uns stoßen, d.h. die Konsequenz haben, sich das Ubw und die Verdrängung einzugestehen. Ein anderer wird Rückwege zur Oberfläche suchen und weiß Gott wo landen. Von der Sterilität all dieser Fluchtbestrebungen werden Sie sich überzeugen.
Das beste Mittel, um sich vor Erbitterung zu bewahren, bleibt eine Einstellung, die gar nichts, d.h. das Schlechteste erwartet. Zu dieser rate ich Ihnen auch. Wir erfüllen unser Schicksal, indem wir die Arbeit fortsetzen, unbekümmert um den Lärm, wie der Goldschmied von Ephesos.[3]
Ich grüße Sie herzlich und hoffe nur Gutes von Ihrer Genesung zu hören.
Ihr
Freud
[1] "Es ist unter uns Analytikern ausgemacht, daß keiner sich seines Stückes Neurose zu schämen braucht. Wer aber bei abnormem Benehmen unaufhörlich schreit, er sei normal, erweckt den Verdacht, daß ihm die Krankheitseinsicht fehlt. Ich schlage Ihnen also vor, daß wir unsere privaten Beziehungen überhaupt aufgeben", hatte Freud unter anderem geschrieben (Freud/Jung, 3.1.1913, Briefwechsel, S. 598f.).
[2] In seinem Brief, der sich mit dem Freuds kreuzte, hatte Jung Freud angeboten, ihm "dieselbe analytische Fürsorge angedeihen [zu] lassen, die Sie mir zeitweise offerieren" (3.1.1913, ib., S. 599f.).
[3] In Goethes Gedicht >Groß ist die Diana der Epheser< (Sophienausgabe, Band 2, S. 195f.) wird vom alten Goldschmied erzählt, der, unbekümmert um das Erstarken der neuen christlichen Religion, an Statuen seiner Göttin Diana (Artemis) weiterarbeitet. Vgl. auch Freuds gleichnamige Arbeit (1911f).
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S.
Berggasse 19
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