-
S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
Villa Schüler16. 7. 26.
Meine liebe Ruth
Es giebt sehr viel zu schreiben. Vor
allem die große Befriedigung über
Ihre beiden Briefe zu konstatiren,
die zeigen, daß wir viel und End-
giltiges erreicht haben, woraus sich
mit Sicherheit ableiten läßt, daß
uns auch der Rest nicht entgehen
wird. Auch darüber, daß sich Ihnen die
Praxis eröffnet, woran ich nie
gezweifelt habe. Sie werden aber
mehr Bedürfnis haben zu erfahren,
was hier bei uns vorgeht.Ferenczis Amerikareise scheint festge-
stellt, den Termin kann ich von
ihm nicht erfahren, vermute nur,
daß Ihre Schiffe sich auf hoher See
kreuzen werden, wenn Sie schon
im Sept an Bord gehen – Von
Zeit zu Zeit treffen die herrlich-
sten Blumen hier ein, ¿¿¿¿¿¿¿¿
Gardenien von nicht gesehener
Schönheit, deren Herkunft nicht
zweifelhaft ist. Man kann nur
bedanken, daß der Ertrag Ihrer
analytischen Arbeit bisher keine
andere Verwendung gefunden
hat. – Das Leben ist hier sehr behag-
lich, das Wetter scheußlich wie
überall in Europa, zwei schöne
Nachmittag in 4 Wochen, das
war alles. Am 12 dM ist Marie
angekom̄en, zuerst allein, ihre
Kinder werden heute erwartet -
S.
Sie ist erfreulich wie immer, in ihrer Analyse
packen wir endlich die Hintergründe
ihres Vater‑Attachments, die mehr-
fach bestim̄te Angst vor dem Vater.
Die Hauptaufregung dieser Tage ist
die Affaire Reik aus der sich die
Zeitungen ein Fressen machen
wollen. Ich habe mit ziemlicher Eile
eine Schrift über die Frage der Laien-
analyse abgefaßt – ein analyt. Potpourri
mit bösartigen Ausfällen gegen
unsere Angreifer; sie ist gestern
abds vor Marie Anna u Reik
zur Hälfte vorgelesen worden,
heute folgt die zweite Hälfte
und morgen soll sie in den Druck
befördert werden.Mein Herzbefinden hat sich hier vollkom̄en
hergestellt, ich spüre weder vom Gehen
noch vom Steigen irgend etwas. Mit dem
Mund hatte ich weniger Glück, es ist eine
Zeit anhaltender Schwellungen u obwol
die Prothesen fest sitzen, ist das Sprechen
recht behindert. Marie hat mir von
der Korrespondenz mit dem Engländer
erzält, zu der Sie sie angestiftet haben.
Ich bin auch nicht abgeneigt, den
Techniker zur Begutachtg hieher kom̄en
zu lassen, ehe ich für die Ausführg
nach London gehe. Es sind aber zwei
Bedenken, das erste, daß es diesmal
übhpt nicht an der Prothese liegt, und
das zweite, daß eine solche Prothese
im̄er Überwachung u Korrekturen
bedarf. Ich könnte aber nicht alle
paar Wochen nach London fahren.
Also noch abwarten!Ich grüße Sie herzlich u erwarte
Ihre Nachrichten.
Ihr
Freud