• S.

    PROF. SIGM. FREUD 
    20 MAREFIELD GARDENS.
    LONDON N.W.3.
    TEL: HAMPSTEAD 2002.

    29. 5. 1939

    Meine liebe Ruth

    Obgleich Schreiben mir 
    noch keine reine Freude 
    bereitet, muß ich doch zur 
    Warnung diese Zeilen 
    an Sie richten. Ich merke, 
    Sie lassen sich mit 
    Radó ein, tragen sich 
    mit der Hoffnung, sein 
    besseres Selbst aufzuwerten, 
    seine schädliche Thätig-
    keit zu paralysiren 
    udgl. Aber er ist ein durch-
    aus unver.licher Mensch,
     ein ungebändigter 
    Wilder, Intrigant und 
    Verräter. Er wird Sie 
    zum Narren halten, 
    betrügen wie alle 
    bisher. Geben Sie ihn 
    auf. Es ist nichts mit ihm 
    zu machen.

    Sonst freue ich mich 
    jedes mal, wenn Sie 
    mir von den Einzel-
    heiten Ihres gewiß nicht 
    uninteressanten 
    Lebens erzählen. Ich nehme

  • S.

    lebhaften Anteil, auch wo ich 
    nicht raten und helfen 
    kann.

    Von mir wissen Sie alles 
    Wesentliche. Die angeb-
    liche objektive Besserung 
    macht sich mir subjektiv 
    noch nicht bemerkbar.  
    Die Radium‑Röntgen‑
    Wirkungen sind 
    nicht leicht zu ertragen. 
    Das Leben in London 
    wäre sonst sehr schön. 
    Den deutschen Moses 
    haben Sie gewiß längst 
    erhalten.

    Mit herzlichen Grüßen 
    für Vater, Til und 
    Mark 
    Ihr 
    Freud