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S.
PROF. DR. FREUD WIEN IX., BERGGASSE 19
Semmering
22. 8. 26.Meine liebe Ruth
Nicht sehr erfreut zu hören, daß Ihre
Gallenbeschwerden wieder begonnen
haben, sonderbarer Weise doch fast
gleichzeitig mit den neurotischen Er-
scheinungen. Das trübt das ohnehin un-
klare Bild, abgesehen natürlich davon,
daß es Sie leiden macht – und event-
uell zu weiteren Komplikationen
führt. Ich erwarte also von Ihnen
Neues zu hören, noch ehe Sie diesen
Brief erhalten haben können. Die
Korrespondenz mit St. Cloud ist gewiß
leichter. Marie ist am 8t nach großen
Erfolgen abgereist, aber ihre Analyse
giebt ihr noch keine Ruhe, lärmt
in der Pause weiter. Sie wissen wahr-
scheinlich, daß Mark Familie Rie
zu ihr gebracht hat.Ich habe mich vor ihr darauf berufen,
daß Sie u Mark die Erhöhung
meines Honorars auf # 25 angeregt
haben, u hoffe, daß ich mich richtig
erinnere u daß Sie mich nicht
desavouiren werden. Ich werde doch
zunächst fünf Stunden geben müßen,
so daß diese finanzielle Maßregel
nicht sehr gerechtfertigt ist.Zu dem Vielen, das Sie mir über
Ihren Zustand mitgeteilten haben, steht
das Minimum, das ich darüber
aus der Ferne äußern kann, -
S.
in unerfreulichem Gegensatz. Ich fülle diesen
Brief also lieber mit einigen Nachrichten
von hier.Ferenczi soll heute abends für eine Woche
heraufkom̄en, er schifft sich dann Mitte
Sept ein. Wir hatten endlich schöne Tage
u sie waren sehr schön. Da ich durch
viele Wochen mein Herz nicht ver-
spürt, konnte ich mehrere Wald-
spazirgänge sehr genießen. Endlich
scheine ich doch einmal zuviel gethan
haben u jetzt behandle ich mich wieder
als schonungsbedürftig. Die Gefahr
ist eben, daß man die Anstrengung
erst nachher merkt. Pichler hat nach
seiner Rückkehr mein Verhältnis
zur Prothese sehr verbessert.Tante Minna will am 15/9 nach Meran
gehen. Anna ist sehr fleißig, hat ver-
sprochen, vom 1-15 Okt mit Mrs Blm
eine Italienreise nicht zu versäumen.
Meiner Frau geht es gut. Meine
Laienanalyse soll noch in diesem
Monat das Licht der Öffentlichkeit
erblicken. Meine beiden Narren,
Bl. u L., machen, glaube ich gute Fortschritte.Empfehlen sie mich Ihren beiden
Eltern u kom̄en sie reif
zur Klärung zu uns wieder.
Herzlich Ihr
Freud