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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 1916. X. 1931
Meine liebe Ruth
Ihr Brief bringt mich in
eine technische Verlegen-
heit. Es ist schwer solche
Dinge schriftlich zu be-
handeln u ich habe auch
kaum die Zeit dazu.
Wenn Sie meinen, daß Sie
sich die Kraft für eine
mündliche Erledigung
am nächsten Sonntag nicht
zutrauen dürfen, mache
ich Ihnen den Vorschlag,
die Sache ruhen zu lassen,
bis Sie für das Gespräch
wol genug sind. Wenn
Sie dann noch Lust dazu
haben! Mir fällt der
Vorschlag leicht, denn
ichantworteerwarte
nichts von der Ausein-
andersetzung. Ich bin
von der Unwandelbar-
keit unserer Beziehungen -
S.
voll überzeugt, meine, daß
man einander gewiße
Kleinigkeiten verzeihen
muß, wenn man einander
lieb hat, und daß es keinen
Sinn hat, sich u den anderen
durch Anwendung der
Analyse dort, wo sie nicht
hingehört, zu quälen. Im
übrigen bleibe ich bei
der Auffassung, die mir
die Nachsicht besonders
leicht macht, daß es sich
bei Ihnen wieder nur
um einen Ihrer „Aus-
nahmezustände“ handelt,
in denen Sie so überscharf
kombiniren.Ich möchte vor allem, daß
Sie Ihre Kur glücklich
zu Ende führen.Herzlich Ihr
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
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