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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19
Tegel17. 6. 30
Meine liebe Ruth
Sie haben gar nichts von
meinem Mitleid, aber ich
kann es Ihnen nicht er-
sparen. Too bad würde man
in Ihrem Land sagen, daß
Sie nicht für Ihre ausgieb-
ige Tätigkeit die volle
körperliche Frische haben.
Aber Sie sind so jung, so
elastisch und energisch, daß
Sie sich mit dem Nachlaß
Ihrer dum̄en Gallenblasen-
reizung gewiß sofort erholen
werden.Natürlich möchte ich es sehr
gern, daß Sie im Som̄er
am selben Ort oder
wenigstens sehr nahe
wären. Hoffe es gelingt
noch. Ich werde so schön
freie Zeit haben, bin
gar nicht mehr fanatisch
auf Arbeit u vielleicht
entwerfen wir zusam̄en
die Grundlinien der
unsterblichen Arbeit -
S.
über „Das Rätsel des Weibes.“
Allein schreibe ich gewiß
nichts mehr.Hier ist es schön, sehr
schön. Wir nehmen
alle Malzeiten im Garten
unter Begleitung von Vogel-
konzerten. Anna ist arbeits-
frei, lebt als Amphibium,
lobt sich die Fischexistenz.
Vom Herzen habe ich wieder
längere Zeit nichts gehört,
aber die 3 Kilo Zunahme
bin ich nicht gekom̄en,
die Prothese geht langsam
vorwärts, von meinem
hartnäckigem Mistrauen
begleitet, Schr. hat auch
noch manches andere zu
thun. Vor den letzten
Tagen dieses Monats werden
wir gewiß nicht zurück
sein.Til’s Namen höre ich hier
recht oft. Ich grüße Sie
u Mark herzlich
Ihr
FreudPS. Nächstens einmal
zusammenfassend
über David.
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
Sanatorium Schloss Tegel
Berlin 13507
Duitsland
C20F3