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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN IX., BERGGASSE 19
Tegel5.X.28
Liebe Ruth
Ich fühle mich durch den Auftrag
von Ihnen beiden, einen
Namen für das eventuelle
Töchterchen vorzuschlagen,
sehr geehrt. Ich fand aber
keinen anderen Weg als
den des freien Einfalls,
und dieser ergab wenig, nur
die Namen: Evelyn, Eleanor,
Dorothy, die rythmisch gut zu
Brunswick passen, Ihnen
aber vielleicht nicht sehr
gefallen werden. Ein anderer
Einfall – Susanna –schließt
sich wahrscheinlich aus nahe
liegenden Gründen aus.Sie sind aber auf die Mög-
lichkeit vorbereitet, daß Sie
einen solchen Namen über-
haupt nicht brauchen werden.Von meiner Behandlung be-
richte ich Ihnen nur, daß
ich jetzt selbst daran glaube,
ich werde eine erhebliche
Besserung mit nach Wien
bringen. Ich habe jetzt ein
neues unteres Stück, viel
leichter u eleganter als das
frühere, mit dem ich -
S.
wieder kauen lernen kann. Die
Hauptsache, der Kloß (Obturator)
ist noch immer unfertig. Schr.
benimmt sich als ob ihm auch
dieses Stück gelingen müßte.
Ich halte es für das schwerste.
Natürlich ist keine Rede davon,
daß ich im Monat Sept. fertig
werde. Heute ist doch der 5t Okt.
Schr. spricht vom 10t u ich
zweifle nicht daran, daß wir
diesen Termin weit über-
schreiten werden. Es hat keinen
Sinn, jetzt mit Wochen zu geizen
nachdem ich 4½ Jahre vergeudet
habe. Der arme Schroeder! Er
genießt jetzt mein Mistrauen
u meinen Pessimismus, nach-
dem ich Geduld und Zutrauen
bei Pichler verbraucht habe.
Immerhin ist unser Aufenthalt
hier weit entfernt von unange-
nehm. Wir sind im Sanatorium
glänzend versorgt, man hat
für mich jede denkbare Rück-
sicht. Anna ist gesellschaftlich
sehr in Anspruch genom̄en,
ich gehe frei aus. Die letzten
Tage war mein Bruder
mit Harry hier, heute
kommt die Lou Salomé A. -
S.
aus Göttingen. Ende der Woche
Dorothy B., die uns beide schon
schmerzlich entbehrt. Nach dem
Verlauf der Probeanalyse
bei ihr rechne ich jetzt nach
der Abreise ihres verrückten
Mannes auf einen schönen Erfolg
durch die Fortsetzung in Wien.
Marie ist noch im Rausch der
überwundenen Frigidität
auch sonst unter der Nachwirk-
ung ihres Abenteuers; sie
verkehrt intensiv mit den
Berliner Analytikern, macht
sich sehr beliebt. Heute wird
sie bei meinem Sohn Oli
gewesen sein und meine
reizende kleine Eva
kennen gelernt haben,
das vielleicht geratenste von
meinen 4 Enkelkindern,
hier. (Übrigens ist Jeanne’s
Henriette auch ein prächtiges
liebes Mädel!) Gelegenheit
zu competition!Die Einweihungsfeier der neuen
Poliklinik habe ich nicht mit-
gemacht, aber sie einige
Tage später besucht. Sehr -
S.
vergrößert, sehr schön u zweck-
mäßig. Ob wird je in Wien oder
N York es soweit bringen?
Der gute Lehrman sperrt
die Augen weit auf, ich hoffe,
er ist europaeischem Einfluß
nicht unzugänglich. Übrigens
a decent fellow. Glauben Sie
nicht alles, was man Ihnen
in NY gegen ihn erzält. Daß
er von Brill gezwungen wurde,
zu mir zu gehen, ist zB. bestim̄t
unwahr.Ich wiederhole, daß ich an der
Entwicklung Ihrer Praxis
in NY sowenig zweifle
wie an der Realität
Ihrer Schwangerschaft. Daß
ich an Sie u Mark mit
herzlichen Gefühlen denke,
ob Sie nun in Wien
oder in Amerika sind.
Ihr
Freud