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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19.9. XI. 1928
Dear Ruth
I see from my list that I
wrote you on the day of my leaving Tegel,
but not yet from Vienna. I congratulate
you on you musical boy, a musical
girl might prove a nuisance. We all
feel very proud of your homesickness for
Vienna. No doubt you belonged to us,
you had a right to hear of every thing
and your advice was welcome on all
matters.Sie werden nicht erwarten, daß ich auf Englisch
fortsetze. Es war ein Scherz so zu beginnen.
Ich beeile mich, Ihre Wißbegierde zu be-
friedigen, habe in der Tat den Brief
nur aufgeschoben, weil ich Ihnen Sicheres
berichten wollte. Also: der Kloß ist aus
schwarzer Guttapercha, innen hohl und nur
halb so groß als der frühere. (Das hätte
ich Ihnen schon früher schreiben können.)
Die Verbesserung ist eine unzweifelhafte,
ganz besonders im Kauen, ich beiße in eine
„resche“ Semmel wie ein gewöhnlicher Sterb-
licher. Die Prothese hat sich bisher nicht
gerührt; worin sie mich jetzt nicht befriedigt,
das war alles schon während der Probe-
woche in Berlin da. Dieser Rest ist aller-
dings so groß, daß von wirklichem Behagen
keine Rede sein kann. Er würde
für sich allein eine neue Behandlung
rechtfertigen, aber vielleicht fordere
ich unmögliches. Alle unverträglichen
Empfindungen sind weg aber genug
überflüßige sind übrig geblieben.
Die Sprache ist niemals ganz unbrauchbar,
aber selten ganz vollkommen; ich
glaube dafür hat mir Schröder eine
Besserung mit der Zeit versprochen. -
S.
Da ich annehmen soll, daß beides, die Schwankungen
der Sprache wie die lästigen Empfindungen
von den Katarrhschwellungen beeinflußt
werden, habe ich heute eine Nasenbehandlung
bei Oscar Hirsch begonnen.Zur Psychologie meiner beiden Ärzte: Bei Schr.
habe ich noch am letzten Tag einen neuer-
lichen Versuch gemacht, ihn zur Annahme
von Honorar zu bewegen, auch diesmal
vergeblich. Gegen die Gesamtausgabe kann
er sich natürlich nicht wehren. Pichler habe
ich am 5. dM einen sehr liebenswürdigen,
wenn auch aufrichtigen Brief geschrieben
um ihm die bittere Pille zu versüßen,
und bis heute keine Antwort erhalten.Ich war in dieser ersten Woche nicht sehr
frisch („bright“, würde man bei Ihnen sagen)
Anna ist jedenfalls besser erholt wiederge-
kommen, steckt auch bereits tief in ihrer
Arbeit. Das Alter zeigt sich jetzt bei mir
in ein einer schönen Vergeßlichkeit für
rezente Eindrücke (noch nicht so in den
Analysen) So zB. weiß ich absolut nicht mehr,
was ich Ihnen am 31/X in Tegel geschrieben.
Daß ich zwei Tage vorher mit Anna, Simmel
u Max aus Hamburg einen Rundflug über
Berlin gemacht? Daß ich bei Lederer eine prae-
dynastisch ägyptische Vase sehr guter Erhaltung
gekauft? Für Anna einen kleinen, aber
sehr hübschen Mädchentorso aus Marmor?
Unmöglich mich daran zu erinnern.Ich könnte natürlich noch sehr viel erzälen,
aber das für ein anderes Mal. David, Ihr
Schwager, macht mir Sorgen, kein Weiter-
kommen, er dreht sich immer im selben
Kreis herum. Wenn ich härter anfasse,
heult er – wie ein Schloßhund pflegt man
zu sagen. Ich brauche viel Geduld für ihn.
Wenn Gott ihn gesund machen will, soll er’s
nur thun. Genug!Ich grüße Sie und Mark
herzlich! Wünsche Ihnen beiden schönen Erfolg
in Ihrer so verschiedenen Arbeit.
Ihr
Freud