• S.

    PROF. DR. FREUD.  WIEN, IX., BERGGASSE 19.

    15. 4. 1929

    Dear Ruth

    Nach meiner Gewohnheit so-
    fortige Antwort, es dauert 
    lange genug. Auf die 
    ersten Bilder Ihrer Tochter 
    sind wir alle sehr gespannt, 
    sie sind noch nicht da. 
    Mein letzter Brief hinter 
    Ihrem vom 5 dM hatte 
    grade viel Unange-
    nehmes gesammelt, solche 
    zufällige Querschnitte 
    sind dann leicht irre-
    führend. Nein, Berlin 
    war für mich auch dies-
    mal sehr angenehm, die 
    geringe Wirkung von 
    Schr’s Eingriffen stellte 
    sich ja erst später heraus. 
    (Ich gehe morgen zuerst 
    zu Karolyi). Von den 
    Zersetzungserscheinungen 
    in der Gruppe habe 
    ich auch erst auf der 
    Heimfahrt durch Anna 
    gehört. Die Horney und 
    Schultz‑Henke sollen 

  • S.

    dahinter stecken u der Mangel 
    einer Führung, da Simmel 
    ganz vom Sanator beschlag-
    nahmt ist und Eitingon den 
    Vorsitz nicht übernehmen 
    will. Vielleicht legt sich 
    der Sturm im Wasserglas 
    wieder. Mein Mistrauen 
    gegen Ihre Standhaftigkeit 
    in Amerika gieng nicht sehr 
    tief. Ich stand grade unter 
    einem neuen Eindruck von 
    den Dingen drüben u so 
    dachte ich eine Warnung 
    würde nicht schaden.

    Sie Sommersorgen halten 
    an, jetzt denken wir 
    an Berchtesgaden.

    Nächstens mehr, bis dahin 
    höre ich doch wieder 
    von Ihnen.

    Die Sträucher zeigen die 
    ersten grünen Blättchen. 
    Herzlich Ihr
    Freud