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S.
PROF. DR. FREUD
WIEN, IX., BERGGASSE 19.
Schneewinkel1. 7. 1929
Liebe Ruth
Da ich nicht wie Sie Schiffe
ablauern kann, folge ich der
bisherigen Übung, Ihre Briefe
am gleichen Tag zu beant-
worten.Was Sie von Til schreiben,
das Verschwinden der Eß-
störung nach Entdeckung
des Daumenlutschens, be-
stärkt mich in der Deutung
daß diese Störung eine Er-
scheinung der Abgewöhnung
war, Folge davon, daß sie
zuwenig Brust gehabt hat.
Meinen Sie nicht auch?
Sonst freue ich mich sehr,
daß Sie Ihr Leben so zu
loben wissen.Hier ist es sehr schön, nur
daß es zu oft regnet, im̄er
sehr behaglich und sehr
ruhig, außer wenn Besucher
kom̄en. Bis jetzt waren
die drei Paare, Jones,
Viereck und Ferenczi. Jones,
so zärtlich er sein wollte,
läßt immer etwas Un-
erquickliches im Hintergrund -
S.
bestehen. Ferenczi’s vertraut wie
immer Viereck’s indifferent.
Mein neuer Amerikaner
Mac Cord aus Albany gefällt
mir immer besser, ein wirk-
licher weißer Rabe aus
dem Land, wo sie besonders
tief schwarz sind. Ich schreibe
sogar etwas, zur Ausfüllung
der Zeit, aber ich hoffe, es
wird nicht soviel wert
sein, daß es gedruckt werden
muß. Die plate ist im
Allgemeinen erträglich
manchmal recht brav. Keine
Tortur wie vor Berlin.Morgen sind es zwei
Wochen seit unserer
Ankunft. Wir fürchten
alle, daß die Zeit hier
zu bald vorüber sein
wird.Mit herzlichen Grüßen
für Sie und Mark
Ihr
Freud