• S.

    16.10.22

    Liebe Freunde,

    Die Kongreßtage waren reich an Eindrücken überwiegend angeneh-
    mer Art, nur etwas zu turbulös, so daß wir als engerer Kreis zu wenig  
    von einander sahen und hörten. Man konnte so recht erkennen, welche  
    Vorzüge ein Zusammentreffen wie das vorjährige hat. Und so möchten wir  
    schon jetzt der Hoffnung Ausdruck geben, daß das nächste Jahr uns wie-  
    der einige schöne Tage des Beisammenseins bringen möge.  

    Ich (A) erhielt heute einen Abzug unsres Gruppenbildes; es ist  
    gut gelungen. Meine Tochter hat ihm soeben den Namen: „Das Fähnlein der  
    sieben Aufrechten“ gegeben. Ich nehme an, daß Schmiedeberg allen ihr  
    Exemplar zusenden wird.  

    Nach dem Kongreß sahen wir allerhand ausländische Pressestimmen,  
    die sich über die Ausschließung ihrer Berichterstatter beklagten.  

    Die Nachfrage nach therapeutischen & didaktischen Analysen ist  
    lebhaft. Unser hiesiger Kreis ist für die Dauer des Winters um zwei  
    Köpfe vermehrt, nämlich um Ophuijsen & Radó. Ersterer ist mit 4–5  
    Analysen versehen, letzterer hat 2 in Angriff genommen.  

    Als Nachzügler traf Delgado ein, der einige Zeit hier bleibt.  
    Er ist ein noch junger Mann, der durchaus günstig wirkt und durchaus  
    ernst zu nehmen ist. Er wird übrigens auch Wien besuchen.  
    Róheim hat seine Vorträge begonnen. Wir hatten ihm die Aufenthalts-  
    kosten in Berlin garantiert und haben durch Erhebung eines hohen  
    Eintrittsgeldes ca. 40000 M. zusammengebracht. Nachträglich kam Sachs  
    noch auf die Idee, R. für einige Engländer noch einen besonderen Kurs  
    halten zu lassen, wodurch das finanzielle Ergebnis nun sehr befrie-  
    digend geworden ist.  

    Anfang November beginnen wir wie üblich unsre Kurse. Sobald das  
    Programm feststeht, sende ich es Dir, l. Otto, für die Zeitschr.  
    Da es für Wien & Bpest vielleicht von Interesse ist, erwähne  
    ich, wie wir hier die Mitgliedsbeiträge geregelt haben. Wir drücken  
    sie in Goldmark aus. Jedes Mitgl. zahlt 4 Goldmark p. Jahr (z.Zt. un-  
    gefähr 1200 M.) wovon 25 %, d.h. 1 Goldmark, an die Zentrale abgegeben  
    wird. Die Berliner Mitglieder entrichten ausserdem jährlich 8 Goldmark  
    zu Gunsten der Polikl.  

    Wie ich leider verspätet höre, befindet sich eine frühere Ana-  
    lysandin von mir, Mrs. D. Garley, in Wien zur Analyse durch Mrs.  
    Rivière. Ich habe vor der Betreffenden bereits vor Monaten gewarnt,  
    aber natürlich kann man sich nicht jeden Namen merken, der in unsern  
    Briefen einmal vorgekommen ist. Mrs. G. kam zuerst wegen eines Depressi-  
    onszustandes zu mir, der sich rasch besserte. Sie wollte dann aber  
    weiter analysiert sein, um selbst PsA zu betreiben. Ich lehnte das  
    ab; ich hatte inzwischen so viel von ihr selbst und besonders über  
    sie erfahren, daß ich ihr mit größter Offenheit erklären mußte,  
    sie sei zur Analytikerin keines Falls geeignet. Ihre Spezialität ist,

  • S.

    Frauen durch raffinierte Praktiken in sich verliebt zu machen. Sie  
    bringt die Betreffenden in stärkste homosex. Erregung und in einen  
    Zustand völliger Abhängigkeit. Hat sie dies Ziel erreicht, so be-  
    kommt die Betreffende einen Fußtritt, d. h. wird mit größter Kälte und  
    Schroffheit abgewiesen, resp. es wird vor ihren Augen eine neue  
    Beziehung begonnen. Alles das wird mit Virtuosität rationalisiert  
    und in der PsA verschwiegen oder falsch dargestellt. Nach recht ge-  
    nauer Kenntnis des Falles halte ich Frau G.’s Charakter für nicht  
    besserungsfähig durch PsA. Sie ist geeignet, unsern Londoner Collegen  
    später die größten Schwierigkeiten zu machen. Offenbar hat sie in  
    Wien verschwiegen oder falsch dargestellt, warum ihre Analyse bei  
    mir nicht fortgesetzt wurde, oder den ganzen Tatbestand überhaupt  
    unterdrückt. Vielleicht gelingt es Herrn Prof’s Einfluß, Schaden  
    zu verhüten. Im Interesse einer Patientin, die eines der Opfer von  
    Mrs. G. ist, wäre es mir lieb, in diesem Zusammenhang so wenig wie  
    möglich genannt zu werden. Ev. hat sonst diese Kranke, die unter dem  
    Einfluß der G. vollkommen zusammengebrochen war, irgendwie die Folgen  
    zu tragen.  

    Zur Zirkulation (L–Bp–W) anbei ein Bild, die Reproduktion einer  
    Plastik „Mutter & Kind“ von einer Bildhauerin Fränkel. Die Gestalt 
    der Mutter fällt sofort als phallisch auf, das untere Körperende 
    ist als Vagina unverkennbar, und das Kind ist, besonders auch mit  
    Rücksicht auf die Örtlichkeit, an der es sich befindet, deutlich als  
    Penis zu verstehen.  

    Eitingon ist für mehrere Monate von Berlin abwesend. Briefe daher  
    an meine Adresse (A) erbeten!  

    Allseitig herzliche Grüße von den beiden Hinterbliebenen  
         Abraham     Sachs