• S.

    Berlin 17.12.23

    Liebe Freunde,  
    Dieser Brief ist der letzte im alten Jahr und soll daher an  
    erster Stelle unsre besten Wünsche für das neue enthalten. Ihnen, l.  
    Herr Professor, soll es baldige volle Genesung bringen. In letzter  
    Zeit war unser kleiner Kreis vielen Erkrankungen ausgesetzt. Wir  
    hoffen, daß Du, l. Otto, wieder ganz gesund bist. Inzwischen hat auch  
    Max eine recht unangenehme Erkrankung durchgemacht, eine rechtssei-  
    tige totale Facialis-Lähmung. Er ist jetzt für längere Zeit verreist.  
    Die Rundbriefe bitten wir also künftig stets an meine Adresse (A) zu  
    senden, da ich am seltensten von Berlin abwesend bin. Wir hoffen, daß  
    im neuen Jahr die Berichte in jeder Hin­ sicht recht viel Gutes ent-  
    halten werden.  

    Die Berl. Vereinigung hat ihre diesjährige Tätigkeit abge-  
    schlossen mit einem Vortrag von Radó über den Sinn der Weihnachts-  
    bescherung, der neben einigen Einwänden berechtigten Beifall fand.  
    Im Januar beginnen unsre Unterrichtskurse wieder. Zu den bereits 
    im voraus für dieses Quartal angezeigten Kursen kommt noch ein sol-  
    cher von Frau Dr. Deutsch über „Beziehungen zwischen psychischen und  
    sexualphysiologischen Vorgängen beim Weibe“ (Frau Dr. D. hat in letzter  
    Zeit in ihrer Analyse bei mir einen bedeutenden Fortschritt gemacht und  
    ich hoffe die Psycho­ analyse zum Frühjahr abzuschließen).  

    Als Mitglied haben wir in unsre Gruppe Frau Dr. Bálint auf-  
    genommen.  

    Zu den Bemerkungen von Wien & Bp. über Laforgue bittet  
    Eitingon mich, Folgendes als seine Ansicht mitzuteilen. L. berechtigt zu  
    guten Hoffnungen, aber für ihn ist die Psa zu sehr eine Sache des  
    Ehrgeizes, er will der erste in Frankreich sein. Auch seine Analyse  
    hat daran noch nichts geändert. Du, l. Ernest, hättest L. besser noch  
    nicht zur Mitglied­schaft aufgefordert. Es gibt ja andere Wege. Man  
    hätte ihn zu einer Sit­zung in London einladen, ebenso zur Teilnahme  
    am Kongreß auffordern können, damit er zuerst sieht, was andre leisten.  
    Er sollte zuerst zeigen, daß sein Interesse der Sache und nicht nur  
    seinen narzißt. Interessen dient. Die Ausschaltung der Sokolnicka  
    spricht dafür, daß L. sich zu sehr von persönlichen Interessen leiten  
    läßt. – Wir stimmen dem von Dir, l. Sándor, Gesagten zu und hoffen,  
    daß Du, l. Ernest, einen Weg findest, der L. an die offizielle Psa  
    attachiert, ohne seinen Ambitionen ungebührlich nachzugeben. Dein  
    Brief zeigt, daß Du selbst von L. einen ähnlichen Eindruck gewonnen  
    hast.  

    In einigen Tagen erhältst Du, l. Ernest, einen Entwurf für  
    die Ankündi­gung des Kongresses. Die Überlastung mit anderer Arbeit  
    hinderte mich bisher daran. Ermakows Brief & die Moskauer Statuten sende  
    ich Dir dann auch. Übrigens enthält E’s Brief die Mitteilung, daß 
    der 6. Band der russ. Gesamtausgabe, Totem & Tabu, erschienen ist.  

    Ein Wort zu Sándors Mitteilung über Feldmann. Die früher in Aussicht  
    gestellten Mitteilungen über die Gründe von F’s Austritt haben wir  
    nicht erhalten. Im allgemeinen stehen wir hier auf dem Standpunkt,  
    daß man solche Leute – wenn nicht sehr dringende Gegengründe vorliegen – 
    besser in der Vereinigung hält, wo man immerhin einige Kontrolle über 
    sie hat. Außerhalb der Organisation verstecken solche Leute allzu

  • S.

    leicht.  
    Im übrigen freuen wir uns über die Wiederbelebung des psa Inter-
    esses in Budapest, die erfolgreiche Vortrags-Tätigkeit in L[ondon] und über die 
    Produktivität des Verlages. Die rasche Förderung der Gesamtausgabe 
    ist besonders erfreulich.  

    Ein völliger Stillstand scheint in der Schweiz eingetreten zu 
    sein. Ihr werdet im Korr.-Bl. sehen, daß von April bis September keine 
    einzige Sitzung der Gruppe stattgefunden hat. Kürzlich höre ich, daß 
    Bleuler von der Professur zurückgetreten ist. Wenn Maier sein Nachfol-
    ger wird, dann sind die Aussichten dort in Zukunft ganz trübe.  

    Eine Anfrage an Sie, l. Herr Professor! Nach Eitingons Bericht 
    ist in Spanien durch die Übersetzung Ihrer Werke das Interesse ge-
    weckt. Ich (A) wäre geneigt, gegen Ende des Winters oder im Frühling 
    in Madrid einige einführende Vorträge in spanischer Sprache zu halten, 
    falls Ihr Übersetzer der geeignete Mann wäre, etwas Derartiges 
    zu organisieren, etwa im Rahmen einer medizinischen Gesellschaft. Ich frage 
    an dieser Stelle an, um Sie nicht mit Korrespondenz zu belasten, und 
    wäre dankbar für Ratschläge.  

    Mit vielen Grüßen und allen guten Wünschen  
    Abraham   Sachs