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S.
Klobenstein
Hotel Post, 4.8.11
Lieber Freund
Meine Erinnerung sagt mir, daß ich aus Karlsbad nicht mit Klagen gespart habe, und so teile ich Ihnen jetzt gerne mit, daß ich hier seit dem 31. Juli in vollstem Behagen sitze. Es fehlt nur, daß meine Frau wieder aufsteht, die an einer Sommerdiarrhoe erkrankt ist, und daß etwas Regen kommt, damit in den herrlichen Wäldern Pilze sprießen können. Luft, Aussicht, Unterbringung und Verpflegung sind ideal, und die Sorgen um Raum zur Unterbringung von Gästen oder neu ankommenden Familienmitgliedern, die uns für Oberbozen gequält haben, fallen hier weg. Wir denken nicht daran, einen anderen Aufenthalt zu nehmen, und erwarten, daß der Herbst sich hier noch angenehmer gestalten wird als der immerhin zu heiße Sommer. Somit erwarten wir Sie hier zu dem von Ihnen angegebenen Termin und bitten nur um Mitteilung des Tages, damit wir dann einen Raum für Sie besorgen können.
Martin bleibt vorläufig in Millstatt, Ernst geht nach Beendigung seiner Kur in diesen Tagen zu Mathilde nach Aussee. Etwas viel Krankheiten, wie Sie sehen.1
Sie haben unterdes auch etwas davon in der nächsten Nähe durchlebt. Ich wünsche Ihnen schöne Erholung, bis Sie zu uns kommen.
Mein Intellekt oder womit man sonst arbeitet ist auch noch beurlaubt. Ich lese Religionsgeschichte und habe mir einige Bücher bestellt, die nicht kommen wollen. Unterdes habe ich das Resultat der Arbeit im vorhinein und ein schönes Plätzchen im nahen Wald, wo man lesen und Noten machen kann; also etwa die nackten Knie vom Alpenkostüm.
Karlsbad ist mir durch den liebenswürdigen Verkehr mit van Emden, der ganz zur -A abschwenkt, erträglich gemacht worden. Jetzt freue ich mich auf unser Beisammensein. Vielleicht sieht auch der Wald von Klobenstein Dinge entstehen, mit denen ich ‑ oder vielleicht Sie ‑ später vor die Welt hintreten können.
Für Lélekelemzés II meinen herzlichen Glückwunsch.
Auf Wiedersehen und dazwischen viel Nachrichten.
Ihr
Freud
1 Martin war nach seinem Unfall auf dem Schneeberg (vgl. 195 F und Anm. 5) noch immer rekonvaleszent und Ernst mußte wegen seiner Magen- und Darmbeschwerden eine Liegekur machen (vgl. 216 F und Anm. 4).
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S.
VII Erzsebét-kőrút 54
Budapest 1073
Hungary
http://data.onb.ac.at/rec/AC16572348 Autogr. 1053/11(1-12) HAN MAG