• S.

                                                          Klobenstein

                                                           11 Aug. 11

    Lieber Freund

    Ich antworte umgehend1, weil ich nicht berechnen kann, wann der Brief in Ihre Hände gelangt. Wir freuen uns schon sehr auf Ihre Ankunft. Es ist leider noch immer zu heißA, hoffentlich bringen Sie kühleres Wetter mit. Mit Ihrem Bruder aus Berlin haben wir uns spät, aber rasch befreundet; Röschen ist ein reizendes Kind.2 Ihr Bruder ist ein Optimist und behauptet, es wird das richtige Wetter sein, wenn er nach Berlin kommt. Er reist heute früh von Oberbozen ab.

     

         Wenn Dr. Spitz3 ernst zu nehmen ist, bin ich bereit. Das ist aber Bedingung, sonst wäre es zu unangenehm, einen Arzt als Patienten zu nehmen. Da Sie ihn warm empfehlen, scheint es ja in Ordnung zu sein.

         Vergessen Sie nicht, uns Ihre Ankunft so anzuzeigen, daß wir ein gutes Zimmer für Sie besorgen können.

         Ich bin ganz Totem und Tabu.

     

         Erholen Sie sich ordentlich.4

                                                         Herzlich Ihr

                                                                Freud

     

     

     

    _________

    A In der Handschrift: Haus.

     

         1    Hier fehlt offensichtlich eine Sendung Ferenczis.

         2    Zsigmond Ferenczi und seine Adoptivtochter Rosa, die Werner Richter, zuerst Offizier, dann Journalist, heiraten wird. Einer ihrer Söhne wird den Namen Ferenczi annehmen.

         3    René Arpád Spitz (1887-1974), der berühmte Psychoanalytiker und Entwicklungspsychologe. Geboren in Wien, verbrachte er Kindheit und Schulzeit in Budapest, wo er 1910 sein Medizinstudium abschloß. Seine Analyse bei Freud war vielleicht die erste *Lehranalyse+. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm er 1922 wieder Kontakt zur Wiener Vereinigung auf, 1930 wurde er Mitglied der Berliner Vereinigung. 1932 ging er nach Paris und emigrierte 1938 nach den USA, wo er zuerst Professor in New York und ab 1957 in Denver, Colorado, wurde. In den 50er Jahren veröffentlichte er seine bahnbrechenden Arbeiten über die Entstehung der ersten Objektbeziehungen und die Folgen der Trennung des Säuglings von der Mutter. Zwischen 1963 und 1969 unterrichtete er wieder in Europa, vor allem in Genf, um dann nach Denver zurückzukehren.

         4    Ferenczi stieß am 20. August zu Freud in Klobenstein und blieb dort zwei Wochen lang. Mitte September fuhr Freud allein nach Zürich und verbrachte drei Tage in Jungs Haus in Küsnacht, von wo er - wahrscheinlich in Begleitung Jungs und dessen Frau - zum Dritten Internationalen Psychoanalytischen Kongreß in Weimar (21.-22. September) weiterreiste. Freud brachte dort einen kurzen "Nachtrag zur Analyse Schrebers" (1912a[1911]), Ferenczi - von Freud in Klobenstein dazu "getreten" (Freud/Jung, 1.9.1911, Briefwechsel, S. 487) - sprach "Über Homosexualität". Diese und die anderen Vorträge wurden von Otto Rank im Zentralblatt referiert (1911, 2: S. 100-105). Jung und Riklin wurden per Akklamation in ihren Funktionen als Präsident bzw. Sekretär der IPV bestätigt und das bis dahin selbständig erschienene Korrespondenzblatt wurde dem Zentralblatt eingegliedert. Weiters wurde die Amerikanische Psychoanalytische Vereinigung neben der New Yorker als Zweigvereinigung der IPV anerkannt. Nach dem Kongreß blieb Freud noch kurz in Weimar, um mit Abraham sprechen zu können (Jones II, S. 115; Freud/Abraham, 29.10.1911, Briefwechsel, S. 112).