• S.

                                                            20 Okt 12

    Prof. Dr. Freud                           Wien, IX. Berggasse 19.

     

    Lieber Freund

    Die Gedankenübertragung hat also doch recht behalten. Ich akzeptiere Ihre neuen Nachrichten über den Hahnemann und werde Sie wahrscheinlich bitten, ihn zu publizieren, sobald ich nämlich die +Magie und Allmacht*1 beendigt habe, so daß ich durch kein Mittelglied mehr vom Totemism getrennt bin.

         Ihre Pseudolues hat mein volles Interesse gehabt, ich habe natürlich auch keinen Moment an sie geglaubt, aber was war eigentlich die körperliche Anlehnung? Ich sehe es doch nicht klar.

         Die heut[ig]e Sendung enthält einen Brief von Brill, der über seine Stellung erfreulichen und unzweideutigen Aufschluß gibt.2 Der Ernst der ganzen Sachlage wächst aber; es scheint ein glücklicher Umstand, daß Jung in seiner Besessenheit sich durch sein Benehmen die meisten entfremdet, die seine Anhänger werden könnten. Stekel macht hier auch neue freche Schwierigkeiten, die darauf hindeuten, daß er etwas im Schilde führt. Vielleicht will er es auf eine Kraftprobe beim Zentralblatt ankommen lassen, der ich gewiß nicht ausweichen werde. Wenig Opfer wären mir zu groß, um ihn loszuwerden.

         Den Brief von Maeder habe ich beantwortet, so scharf und aufrichtig als mir nur möglich, bin auf den Effekt neugierig. Ich erwarte nämlich nichts von Konzessionen und Kompromissen. Das alles sind ja Nebensachen, und die Vollendung unserer Arbeit bleibt das Wichtige. Dazu aber sind diese Kämpfe gut, sie erhalten einen in Spannung. Der Erfolg ist immer etwas Lähmendes; der Aufruhr aber auf allen Seiten stellt ähnlich günstige Bedingungen her wie die frühere Isolierung.

         Hält diese Situation an, so muß ich mir wohl ein Kopierbuch anschaffen, damit fixiert sei, was ich geantwortet habe.

     

         Das englische Buch über den Moses3 soll ich demnächst bekommen.

         Frau und Tochter sind heute zurückgekommen. Nachmittag erwarte ich das Referierkomitee.

         Ich grüße Sie herzlich und hoffe jetzt auf ungekreuzten Verkehr.

                                                            Ihr Freud

     

         1    Siehe 327 F und Anm. 2.

         2    Wohl Brills Stellung gegenüber den abweichenden Anschauungen, die Jung in seinen Vorlesungen in New York (siehe 318 F, Anm. 5) vertrat.

         3    Wahrscheinlich W. Watkiss Lloyd, The Moses of Michael Angelo, London 1863; von Freud in seiner Moses-Arbeit ausführlich zitiert (1914b, S. 199ff.).