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S.
13 Nov 11
Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19.
Lieber Freund
Ich beeile mich, Ihnen noch heute anzuzeigen, daß die neue Zeitschrift1 ‑ wahrscheinlich +Psyche* ‑ zwischen Heller und uns zustande gekommen ist. Sie soll Mitte März ihr erstes Heft aussenden. Wir rechnen natürlich stark auf Ihre Beteiligung und Propaganda. Ich bin sehr froh, denn die Schwierigkeiten haben mich arg gedrückt.
Von Frau Jung kam ein zweiter Brief2, der diffuser war als der erste, bestätigte, daß ich außer der Nichterwähnung der +Wandlungen* keine anderen verdächtigen Zeichen von mir gegeben, und sonst wirklich eher aus persönlichem Interesse gespeist schien. Mit meiner Antwort wird die Korrespondenz wohl beendigt sein.
Ich bin wieder von 8 ‑ 8 h beschäftigt; mein Herz ist aber ganz beim Totem, mit dem ich sehr langsam weiterkomme.
Mittwoch haben wir zwar keinen Feiertag, aber dafür Sitzung zur Anhörung eines Kandidaten.3 Nächsten Mittwoch beginnt die Onanie-Debatte. Avis au voyageur.4
Mit herzlichem Gruß
Ihr
Freud
1 Die Imago; siehe 223 F und Anm. 5.
2 Freud/Jung, 6.11.1911, Briefwechsel, S. 503-505.
3 Herr cand. phil. Theodor Reik war am 11. Oktober von Stekel zu einem Probevortrag angemeldet worden (Protokolle III, S. 271), den er am 15. November "Über Tod und Sexualität" hielt (ib., S. 297-305). Nach dem Vortrag wurde Reik einstimmig zum Mitglied gewählt.
Reik (1888-1969) wurde in Wien geboren und studierte dort Psychologie, Deutsch und französische Literatur. 1914/15 konnte er bei Karl Abraham in Berlin eine kostenlose Lehranalyse machen. 1915 wurde er Ranks Nachfolger als Sekretär der Wiener Vereinigung und behielt diese Funktion bis zu seiner Übersiedlung nach Berlin (1928). 1934 emigrierte er nach Holland, 1938 nach New York, wo er von der dortigen Vereinigung als nicht-ärztlicher Analytiker "ersucht" wurde, "nicht psychoanalytisch tätig zu werden, was einem Praxisverbot gleichkam" (Reik, Dreißig Jahre mit Sigmund Freud, Nachdruck München 1976, S. 119). Reik arbeitete trotzdem als Analytiker und gründete 1948 eine eigene Gruppe, die National Psychological Association for Psychoanalysis.
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
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