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S.
13.2.12.
Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19.
Lieber Freund
Ich denke, Sie haben den schmerzlichen Eindruck überwunden, gegen den unsere menschliche Logik sich immer so schwächlich zeigt, und sind jetzt wieder bereit, von unseren gemeinsamen Interessen zu hören.
Also bei E[lma] komme ich entschieden vorwärts und erkenne nach heftigen Kämpfen mit der Prüderie des Vaters in ihr die vertrauten menschlichen und weiblichen Züge. Sie hat gerade jetzt ihre Liebe zu Ihnen sehr betont, aber ich bleibe dabei, daß alles erst den Schmelzofen der Kur passieren muß, und sie geht darauf ein. Gerade heute sind wir bei wichtigen Dingen angelangt, deren Ausgang entscheidend für den Erfolg werden kann. Ich gewöhne mich allmählich an den Gedanken, daß Sie Ihre Sommerreise mit ihr anstatt mit mir machen könnten, obwohl, wenn es dazu kommt, Sie mir's gewiß nicht zu danken haben werden. Ich lege ihr im Gegenteil jede mögliche Schwierigkeit in den Weg.
Es wird Ihnen erinnerlich sein, daß ich ihre Vaterfixierung auf sein Bemühen um ihre Abgewöhnung vom Bettnässen zurückführte. Dieser Tage brachte sie mir nun die Brunhildenphantasie1 im Anschluß an einen Traum. Das stimmt dazu.
Zu Ihrer Unentschlossenheit möchte ich bemerken, daß masochistische Regungen sehr häufig in eine ungünstige Ehewahl auslaufen. Man hat dann sein Unglück, ist von Gott gestraft und braucht sich nicht weiter zu sorgen. Merken Sie wohl, daß ich dabei in keiner Weise gegen E[lma] Partei nehme. Es genügt, daß Sie sie dafür halten, um ein masochistisches Motiv mehr in Ihrer Motivengleichung zu haben.
Wenn Sie ScheelerA referieren wollen, bitte ich Sie nur, es bei Stekel anzumelden. Die Märznummer wird wieder sehr gut, Februar ist minder. +Imago* ist fast gesetzt. Ich arbeite am Tabu, das mir viel Vergnügen macht, und an den zweiten Auflagen von +Witz* und +Gradiva*2.
Jung hat vorgestern freundlich geschrieben, kein Konfliktanzeichen; bei mir hat sich nichts geändert.
Ich soll Ihnen das herzliche Beileid unserer ganzen Familie ausdrücken und drücke Ihnen selbst in Gedanken die Hand.
Ihr
Freud
P.S. Es ist eine Chance, daß ich Donnerstag in Györ3 bin, ich würde dann jedenfalls telegraphieren.
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A So in der Handschrift.
1 Brunhild, Königin von Island, eine mit übermenschlicher Kraft und Kühnheit begabte Heldenjungfrau, wollte sich nur mit einem Mann vermählen, der sie im Kampf und im Brautbett besiegen konnte. Da ihr Freier Gunther, König von Worms, dazu zu schwach war, schlüpfte sein Freund Siegfried in seine Rolle, konnte aber die Aufgaben selbst nur mithilfe der Tarnkappe, die ihn unsichtbar machte und ihm siebenfache Kräfte verlieh, bestehen. Die List des Männerpaares wurde später aufgedeckt und Brunhild ließ Siegfried durch Hagen töten.
2 Freud 1905c und 1907a; 2. Auflage jeweils 1912 bei Deuticke, Wien.
3 Stadt an der Donau; etwa auf halber Strecke zwischen Wien und Budapest.
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
Austria
VII Erzsebét-kőrút 54
Budapest 1073
Hungary
http://data.onb.ac.at/rec/AC16572377 Autogr. 1053/12(1-13) HAN MAG