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S.
Berlin 15.10.23
Liebe Freunde,
Die guten Nachrichten aus Wien haben unsere Stimmung sehr
gehoben, und wir können Sie, l. Herr Professor, die Ihrigen und uns
zu dem glücklichen Verlauf der Operation nur von ganzem Herzen be-
glückwünschen. Wir sehen nun voller Hoffnung in die Zukunft, und
sind dazu umso mehr berechtigt, als wir davon erfahren haben, dass
Sie selbst so guten Mutes sind.Von unserer Vereinigung ist Gutes zu berichten. Die vom Verlag
bezogenen Bücher sind gebunden und aufgestellt, sodass die Leih-
bibliothek eröffnet werden kann. Da sich namentlich die Jüngeren
die Anschaffung der Literatur kaum mehr leisten können und unsre
kleine Vereinsbibliothek den Bedürfnissen nicht genügte, so kommt die
Leihbibliothek einem wirklichen Bedürfnis entgegen. Wir haben die Leih-
gebühren auf 10 Goldpfennig p. Buch & Woche festgesetzt. Die Bibliothek
hat von allen wichtigen Werken mehrere Exemplare und soll nach
Möglichkeit vergrößert werden.Unser Mitglied Dr. Müller ist von der „Lessing-Hochschule“, einem
Bildungsinstitut, zu einem Vortragskurs aufgefordert worden und
hat ihn übernommen.Von privater Seite wurde ein pädagogischer Kurs angeregt, der
hauptsächlich praktische Erfahrungen über die Sex. des Kindes be-
sprechen soll. Frau Klein wird den Kurs abhalten. Da die Teilnehmer
hauptsächlich Kindergärtnerinnen sind, die analytisch zum Teil sehr
wenig orientiert sind, so entsendet die Vereinigung ein Mitglied
des Unterrichtsausschusses zu den Abenden, um bei den Diskussionen
Frau K. zu unterstützen und um Erfahrungen zu sammeln, wie sich die
psa Ausbildung von Pädagogen am besten fördern lässt.Am 27. d. M. werde ich (A) in Hamburg in einem privaten Kreise
über das Unbewusste im Verhältnis der Eltern zum Kinde sprechen.
Es besteht Hoffnung, dass der in H. von Foerster gebildete Kreis
sich allmählich zu einer kleinen Gruppe entwickeln wird.In der letzten Sitzung waren Dr. Schmidt und Frau aus Moskau,
Mitglieder der Moskauer Vereinigung, unsere Gäste. Dr. Schmidt ist Vorsitzen-
der im wissenschaftlichen Beirat des russischen Kultusministeriums.
Er wie die Frau sind analytisch gut gebildet, wenn auch das Wissen-
schaftliche mit kommunistischer Ideologie stark durchsetzt ist. Aber
der persönliche Eindruck ist sehr günstig. Die Mosk. Vereinigung
ist dadurch verstärkt worden, dass die Kasaner alle nach M. über-
gesiedelt sind. Von der Zusammensetzung der M. Gruppe ist zu sagen,
dass die Ärzte ein Drittel bilden. Pädagogen, Künstler, Wissen-
schaftler und Politiker bilden ein starkes Kontingent. Vorsitzender
ist Ermakoff, Sekretär Wulff. E. wird vielleicht in absehbarer Zeit -
S.
eine Professur für Psa. erhalten. Die Mitglieder der M. Vereinigung
müssen jährlich einen Vortrag halten, womit immerhin eine gewisse
Teilnahme an den wissenschaftlichen Be- strebungen gewährleistet ist.
Sie lesen fast alle die Literatur in deutscher Sprache und sind um die
Übersetzung ins Russische bemüht. Die Übersetzung von Herrn Prof.s
Schriften – die erste vollständige Ausgabe, die überhaupt begonnen
wurde erscheint im Staatsverlag, dessen Leiter Schmidt ist. Frau S[chmidt]
ist die Leiterin einer Versuchsschule oder richtiger Erziehungs-
anstalt für Kinder, die mit einem Jahr aufgenommen werden. Die Er-
ziehung ist bestrebt, die Ergebnisse der Psa zu verwerten. Vielleicht
tut sie es in einer zu dogmatischen Weise, aber Vieles, was uns be-
richtet wurde, war sehr erfreulich. Ich (A) hatte mit beiden noch
eine lange Unterredung, in welcher ich mit Dr. S[chmidt] als offiziellem
Abgesandten der Mosk. Vereinigung über die Aufnahme in unsere V[ereinigung] unter-
handelte. Da meine früheren schriftlichen Mitteilungen nicht an Erma-
kow gelangt sind, wußte Schmidt natürlich nicht, welche Bedingungen
wir für die Aufnahme gestellt hatten. Er hatte daher keine Statuten
mitgebracht, wird sie aber senden. Die mündlichen Mitteilungen, die
er daraus machte, sind den bei uns üblichen Statuten sehr ähnlich.
Die Aufnahmebedingungen sind nicht ganz so streng wie in Berlin, aber
strenger als in manchen anderen Gruppen. Kurz, wir wissen jetzt über
diese Vereinigung mindestens so viel Positives, wie wir über die
indische Gruppe wußten, als wir sie aufnahmen. Sehr interessiert
hat Dr. S[chmidt] unser Berliner Unterrichtsplan. Man darf hoffen, daß sich
allmählich intensivere Beziehungen herstellen werden, so daß Schüler
aus Rußland zu uns kommen werden, ebenso wie wir erwarten, daß Dr. S[chmidt]
die Vorträge von Hanns in Moskau fördern wird. Ein sicherer Weg für
die Korrespondenz mit Ermakow & Wulff ist jetzt auch vorhanden, in-
dem die Berliner Filiale des russ. Staatsverlages die Briefe befördern
wird. Nimmt man alles zusammen, so ist es klar, daß wir die M. Gruppe
aufnehmen müssen. Von den positiven Gründen, die dafür sprechen, ab-
gesehen scheint mir, daß wir eine unwiederbringliche Gelegenheit
versäumen, wenn wir die Verbindung jetzt nicht aufnehmen. Wir ver-
lieren dann auf lange Zeit jede Möglichkeit einer Einwirkung auf die
psa Bewegung in Rußland. Und so schlage ich Dir, l. Er- nest, vor, ein
entsprechendes die Aufnahme verkündendes Schreiben zu verfassen und
es mir zu übersenden. Ich werde es dann auch unterzeich- nen und nach
M. senden.Mit der Zusammenlegung von Zeitschr. & Imago müssen wir uns wohl
oder übel einverstanden erklären. Gern stimmen wir der Idee zu, Sándor
wieder als Redakteur mitwirken zu lassen. Wir schlagen vor, daß die
beiden Redakteure mit Herrn Prof. zusammen ausmachen sollen, ob die
Hefte gemischten Inhalt haben sollen, oder ob ärztliche und angewandte
Psa getrennt gehalten werden sollen.Mit herzlichen Grüßen
Abraham Sachs