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S.
28.1.12.
Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19.
Lieber Freund
Ich schreibe Ihnen wieder, weil ich mir Ihr lebhaftes Interesse für ein Stück meiner Arbeit vorstellen kann. Es geht in der Analyse lebhaft vorwärts, die Masken fallen allmählich. Die Eifersucht gegen die begünstigtere Schwester mit Todeswünschen gegen sie flicht sich in den Zusammenhang ein, die Einfälle sind ungezwungener. Ich werde Ihnen wieder berichten, wenn es etwas Entscheidendes gibt.
Jung hat endlich geschrieben und sich mit der Inanspruchnahme durch seine Libidoarbeit entschuldigt, wenn er jetzt keine +Libido* verausgaben könne. Ich habe ebenso kurz auf den sachlichen Inhalt, die Redaktionsgeschäfte, geantwortet, und so kommt es jetzt ohne weitere Trübung einer Unterbrechung des Briefverkehrs gleich. Ich habe sonst auch zu tun und weiß aufrechtzuhalten, was mir wertvoll ist.
Heute habe ich die siebente (!) Abhandlung dieser Saison beendigt, den Aufsatz über das +Unconscious* für die Society for Psychical Research1. Ich habe ihn englisch geschrieben, er war nicht leicht. Jetzt kann ich [mich] wieder meinen Wilden widmen, um das Tabu auf Ambivalenz zurückzuführen.
Es erschiene mir recht zweckmäßig, wenn Sie die jetzige Gefühlsleere dazu benützen wollte[n], einen technischen Artikel fürs Zentralblatt zu schreiben. Ich muß nach zwei solchen2 aussetzen und will die Technik nicht in Händen von Stekel sehen.
Ranks Arbeit, wofür er die ungarische Traumzeichnung gebraucht hat3, ist wieder sehr gut geworden. Ihr Onaniebeitrag ist Mittwoch verlesen worden, die meisten waren sehr einverstanden damit, so auch ich; Stekel hat sich heftig dagegen gewehrt.
Martin ist gestern endgiltig als invalid superarbitriert worden und jubelt.4
Ich grüße Sie und Frau Gisela herzlich
Ihr
Freud
2 >Zur Dynamik der Übertragung< (1912b) und >Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung< (1912e).
3 >Die Symbolschichtung im Wecktraum, und ihre Wiederkehr im mythischen Denken< (Jahrbuch, 1912-13, 4: S. 51-115). Die Traumzeichnung (siehe 215 Fer und 216 F) ist abgebildet und wird von Rank besprochen (S. 98-101).
4 Nach seinem Unfall beim Skifahren (siehe 195 F und Anm. 4 und 5).
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
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Budapest 1073
Ungarn
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