• S.

     

                                                                                                             9.5.18

    Prof. Dr. Freud                                                            Wien, IX. Berggasse 19.

     

    Lieber Freund

    Sehr erfreut über Ihre guten Nachrichten. Einen Teil derselben bestätigen die drei Arbeiten, die mir Dr. Fr[eund] überbracht hat. Es sind Kabinettstücke, vollendet klar und zwingend, Zeugnisse voller Meisterschaft. Die eine, von den Onanieäquivalenten, macht mit einem theoretisch wie praktisch bedeutsamen Thema, dem der aktiven Therapie, einen guten Anfang. Nur an einer Stelle würde ich zur Zurückhaltung raten, dort wo Sie (Sonntagsneurosen) von der paläobiologischen Auffassung des Koitus geheimnisvoll reden. Dafür wird Ihnen der Leser nicht danken; es bleibe lieber weg, bis Sie mehr davon geben können.1

         Die Arbeiten ruhen unterdes in Sachsens Mappe. Mit dem Druck hat es gute Weile. Heller hat es zu leicht, uns hinzuhalten. Der Stoff für meinen 4. Band Sammlung ist z.B. seit drei Wochen in der Druckerei. Einziger Erfolg die heutige Nachricht, daß der Druck wegen Mangels an Lettern auf unbestimmte Zeit verschoben werden muß.

         Es hat mich sehr interessiert, daß Sie sich auf unser Zusammensein in Csorbató freuen. Ich möchte Sie aber fragen, woher Sie das wissen. Dr. Fr[eund] hat uns dasselbe mitgeteilt, aber wir glauben es nicht, denn wir haben bis heute keine Anzeige aus Csorbató erhalten.

         Der schöne Aberglaube mit den 62 muß jetzt endgiltig aufgegeben werden. Es ist doch gar kein Verlaß auf die Übernatürlichkeit!2

         Ernst ist nach Abbazia, meine Schwägerin nach Reichenhall; das Haus ist jetzt sehr still. Die Praxis noch ebenso heftig, wahrscheinlich bis Ende dieses Monats. Ich habe einige interessante Einfälle, aber keineA Neigung, sie jetzt auszuarbeiten.

         Werden Sie im Juli schon in einem Zimmer mit Frau G. wohnen dürfen? Der bisherige Verlauf ist jedenfalls erfreulich und die Wirkung auf Sie eine unvergleichliche Rechtfertigung.

         Ich grüße Sie herzlich

                                                                                                         Ihr Freud

     

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    A Unterstreichung nicht sicher; es könnte sich auch um den t‑Strich im   darunterstehenden Wort +auszuarbeiten*handeln.

     

     

         1     Dieser Passus findet sich nicht mehr in der Veröffentlichung.

         2     Am 6. Mai war Freuds 62. Geburtstag gewesen. Vgl. 99 F, 519 F und Anm. 1, 591 F.